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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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Spalier stummer Posten vorbei, die ihnen in vollendeter Starre salutierten.
     
    Riesige Wolkenwalzen zogen nun über den Himmel.
    Der Boden, über den sie fuhren, war der letzte Gruß der Eiszeit auf der nördlichen Erdhalbkugel. Beim Warten auf der Gustav Holm hatte Georgi ausgerechnet, dass bei einem Schmelzen des gesamten Inlandeises der Wasserspiegel der Ozeane um sechseinhalb Meter ansteigen würde. In einer solchen Welt hätte Wegener als Junge nicht am Kanal, sondern am Strand gespielt.
     
    Sie erreichten das 200-Kilometer-Depot. Die Hälfte. Zumindest hatten sie noch immer keine Erfrierungen.
    Sie brauchten nun, was jedes Polarfahrers vornehmste Hilfe war: das Glück.

    Das Thermometer sank unerbittlich weiter: Dreißig Grad. Fünfunddreißig Grad. Vierzig Grad. Auch ihre Tagesleistungen sanken, mitunter kamen sie überhaupt nicht weiter. Die Anstrengung in zweitausend Meter Seehöhe tat ein Übriges.

    Witterung: sichtig, aber ohne jeden Kontrast am Himmel und im Firn. Jede Schneewehe und jeder Spalt ein unvorhersehbares Hindernis.
    Bei Kilometer 280 stand ein toter Hund am Wegrand. Ein Monument der Kälte.
    Dann kam der 20. Oktober, für den Georgi und Sorge angekündigt hatten, mit den Handschlitten aufbrechen zu wollen. Sie erwarteten nun täglich, die beiden auf ihrem Marsch zu treffen. Jeder dunkle Punkt in der Ferne wurde im Herannahen stundenlang in Augenschein genommen. Die Tage wurden rasch kürzer, es gab immer mehr solcher dunklen Punkte. Und am Ende war es doch wieder nur einer von Georgis Schneemännern. Schweigend zogen sie an den kalten Gestalten vorüber, es fühlte sich an wie ein Spießrutenlauf.
     
    Ganze Tage mussten sie im Zelt verbringen. Die Läuse hatten unterdessen auf eine Weise überhandgenommen, dass Wegener sich die Kleidung vom Leib reißen und hinaus in den Firn laufen wollte. Loewe klagte über Schmerzen am Fuß, weigerte sich aber, jemanden nachsehen zu lassen. Mehrmals flatterte zwitschernd ein Schneesperling um ihr Zelt, dreihundertvierzig Kilometer vom Rand.
    Sie ernährten sich von den Vorräten, die sie nach Eismitte bringen sollten. Loewe erfand ein Rezept aus getrockneten Aprikosen, die er mit Zucker und Wasser übergoss, was einen wohlschmeckenden Sud ergab. Die Prozedur ließ sich mehrere Male wiederholen, bevor man am Ende die ausgelaugten Reste zu einem Kompott kochte. Aus Dankbarkeit gab Wegener dem Rezept den Namen Gute Tiere . Es ließ sich auch mit gefrorenen Äpfeln herstellen.

    Immer häufiger blieben sie morgens gleich liegen. Sie brauchten nicht hinauszusehen, der Sturm vermittelte einen lebhaften Eindruck von der Wetterlage. Um die Tage im Zelt abwechslungsreicher zu gestalten, bereiteten sie ein Gulasch aus eingeweichtem Schiffskeks zu. Dazu wurden Ölsardinen gereicht.
    Jeden Abend das Heulen der Hunde. Irgendeiner von ihnen begann, ein anderer fiel ein, und endlich jammerten sie alle, in immer neuen Wellen.
    Noch einmal hinaus und dann vor dem Zelt stehen. Der Vollmond am Osthimmel silbern geputzt, darunter der Schnee fast schwarz, als verschlinge er all das Mondlicht und gebe nichts davon wieder heraus. Über dem Westhorizont ein trübes, orangefarbenes Glimmen, das zum Zenith hin einen blassen Dämmerungsbogen schlug, darüber wie vergessen ein loses Rudel Stratuswolken. Der Himmel selbst in stumpfem Blau, dekoriert mit einigen erschöpften Sternen. Von Zeit zu Zeit durchbrach das scharfe Krachen eines Firnstoßes die Stille, wo die oberen Schichten in sich zusammensackten. Es klang wie das Magenknurren eines riesenhaften eisigen Wals. Die Natur ganz unter sich, ohne ihnen die mindeste Beachtung zu schenken.
    Loewes Schmerzen nahmen zu, nachts schrie er manchmal, wachte selber davon auf und stopfte sich dann irgendetwas in den Mund, um die anderen nicht zu stören. Sein Röcheln und Wegeners Erleichterung über das Ende des Lärms.
     
    Wie langsam es voranging, als dehnte ihr Weg sich zum Ende hin immer weiter. Die Unterschiede zwischen Reise-und Lagertagen fielen kaum mehr ins Gewicht. Die wenigen
Schritte, die sie an manchen Tagen schafften, dienten im Wesentlichen dem moralischen Selbsterhalt. Der tiefe Schnee scharf wie Sand, die Hunde versanken darin fast zur Gänze. Wegener kam es vor, als hätten sie die Zelte ebenso gut stehen lassen können. Zum Schlafen wären sie zurückgegangen und hätten sich zumindest den Aufbau erspart.
     
    Im Schneetreiben sahen sie mehrmals den Schneesperling wieder. Da sie bei dem Gegenwind ohnehin

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