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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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war. Warum nur hatte Georgi, der die ersten Transporte organisiert hatte, nicht zunächst alles Lebensnotwendige in die zentrale Firnstation geschafft? Es war ein Fehler gewesen, ihm darin freie Hand zu lassen.
    Wegener würde selber an der Reise teilnehmen müssen.
     
    Am Tag vor ihrem Aufbruch schlüpfte Wegener als Erster aus dem Zelt. Strahlend ging zwischen purpurroten Wolken die Sonne auf, über den ganzen restlichen Horizont zog sich die dunkle Kante einer von Regenstreifen gezeichneten Schichtwolke. Wegener wollte noch einige Bilder machen, um Else ein Weihnachtspaket auf den Weg zu bringen. Bald kam unten am Hafen das letzte Postschiff vorbei. Was konnte er ihr Besseres schenken als die Ansicht ihres Lebens hier draußen?
    Er photographierte noch einmal, was ihm in den vergangenen Monaten vor Augen gestanden hatte, die Berge aus Eis, die Berge aus Stein, es war nicht viel. Er hatte das alles erst vom Wasser aus gesehen, als sie herankamen, beim Warten, und dann an der Küste, wenn er in der nächtlichen Dämmerung von einem Essen beim Katecheten zurückgekommen war. Er hatte es von der Moräne aus gesehen, wenn sie sich in einer Arbeitspause umwandten, und später vom Gletscher, beim Antreiben der Pferde: die spiegelglatte See mit den weißen Flecken darauf. Die Holzkohlelinie im Eis, die sich wie eine Girlande um die vom Sturm geschliffenen Zapfen wand. In den Schnee gestreut, die pelzigen Bündel aus Hunden, jede Böe warf Wellen über ihr Fell. Die einzeln stehenden Pferde, windabgewandt.

    Beim Versuch, zurück ins Zelt zu klettern, verfing Wegener sich in einem Seil der Abspannung, glitt aus und stürzte hin. Erst konnte er sich das Stechen in der Seite nicht erklären, dann begriff er, dass er auf einer Ecke der Kamera gelandet war. Der Schmerz wurde nicht weniger, als Wegener den Schaden am Gehäuse sah, aber er schenkte ihm keine Beachtung mehr. Es stellte sich heraus, dass die Kamerarückwand aufgebogen war, dagegen fiel die Prellung seiner Hüfte nicht ins Gewicht.
    Wegener machte sich gleich daran, die Platten zu entwickeln. Stundenlang wärmte er die Bäder an, immer mit dem Thermometer im Anschlag, um auf die richtige Temperatur zu kommen. Dann erschien das erste Grau auf den Platten, das dunkler wurde und endlich vollkommen schwarz. Wegener machte dennoch Abzüge davon, indem er vor der Petroleumlampe einige Minuten belichtete. Aber die Bilder blieben gänzlich farblos, ein reines Weiß, nur hier und da von einem nebligen Schatten bedeckt und einmal von einer Eisblume, die sich beim Trocknen gebildet hatte. Bevor er die Bilder in Elses Weihnachtspost gab, schrieb er auf die Rückseiten, was sie zeigten.

    Die Hunde am Morgen, von Neuschnee begraben
Ein verschneites Pferd im Licht
Der Moränenweg vor dem Einsatz der Holzkohle
Das Zelt am Else-Depot
Ein Eisbär auf der Flucht
Der Blick in den Himmel

Elementare Theorie der atmosphärischen Spiegelungen
    Am 22. September brach Wegener auf, zwölf Grönländer begleiteten ihn. Außerdem Dr. Loewe – nicht Wegeners erste Wahl, aber alle anderen Expeditionsteilnehmer waren unabkömmlich.
    Mit »íu, íu« und Peitschenhieben ging es in die Bahn. Am Mittag riss seit Tagen zum ersten Mal die Wolkendecke wieder auf. Das Blau des Firmaments – Wegener glaubte in eine andere Welt schauen zu können, er fühlte sich seltsam beschwingt. Nur über den Küstenbergen standen unbeweglich die Föhnwolken.
    Aber er war endlich wieder unterwegs. Flach über die Bahn wehte der Treibschnee und hinterließ ein schlängelndes Muster. Eine prächtige Fahrt, im Galopp ging es durch die weißen Wellen, ein starker, kalter Nordost blies ihnen ins Gesicht, dazu Schneefegen und wieder die herrlichsten Lichter, Farben und Ausblicke über das Küstengebirge.
    »Heute – gibt es – Inlandeis – mit Schlagsahne!«, brüllte Wegener zu Loewe hinüber, aber es war wohl nicht zu verstehen.
     
    Schon bei Kilometer drei kamen ihnen die zurückkehrenden Hundeschlitten entgegen. Wölcken wirkte erschöpft,
seine Grönländer nicht minder. Er hatte einen Brief aus Eismitte dabei, der einigermaßen verzweifelt klang. Georgi und Sorge kündigten an, auf eigene Faust mit dem Handschlitten zur Küste reisen zu wollen, wenn bis zum 20. Oktober kein weiterer Transport eintreffen würde. Ein Plan für Hasardeure. Für den Fall, dass noch eine Schlittenreise auf den Weg gebracht würde, gaben sie Bestellungen auf: siebzehn große Petroldunke, Bohrgerät, eine ausreichende Menge

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