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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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schnell, aber stetig ging es über das wellige Eis dahin. Auf dem Rückweg setzte sich wieder Kraus ans Steuer, und Wegener zündete sich neben ihm eine Pfeife an. War es nicht eine ungeheure Schlemmerei? Wenn Scott das hätte erleben dürfen, oder Shackleton. Wie vergeblich ihre Entbehrungen von diesem Beifahrersitz aus wirkten. Aber nein, das durfte man nicht einmal denken. Wer konnte sagen, wie jämmerlich ihre eigene Reise schon der nachfolgenden Generation erschien?
    Am Nachmittag fuhren sie gemeinsam zum oberen Ende des Gletschers, um den zweiten Motorschlitten zu holen, dem sie den Namen Eisbär gaben. Das Starten im Neuschnee erwies sich als schwierig, aber sobald sie einmal in Bewegung waren, gab es kein Halten mehr.
    Gesiegt wurde nun auf ganzer Linie. Wölcken und Dr. Sorge brachen zu einer großen Hundeschlittenreise nach Eismitte auf. An der Küste gelang es Vigfus endlich, das Letzte aus den Pferden herauszuholen, er übermittelte steigende Tagesleistungen. Im Gletscherbruch waren die Pferde jedem anderen Transportmittel einfach überlegen.

    Am folgenden Tag starteten Wegener und Kraus zur ersten Propellerschlittentour unter Nutzlast, um einen Teil des Karoline-Depots vorzuschieben. Auf dem backenden Neuschnee
war es fast unmöglich, in Fahrt zu kommen. Am Ende aber fand sich ein halbwegs kommodes Verfahren: Unter jede Kufe ein Brett, und während draußen jemand am Schlitten rüttelte, musste man drinnen Vollgas geben, dann kam die Sache mit etwas Glück in Bewegung – wobei der Helfer zusehen musste, sich rasch vor dem Propeller in Sicherheit zu bringen. Am Ende hieß es, hinter dem fahrenden Schlitten herzulaufen, um mit einem gewagten Sprung noch hinaufzugelangen.
    Doch falls es einen Wettergott gab, dann war er an diesem Tag verstimmt. Der Schneefall so dicht, dass man kaum einige Schritte weit sehen konnte. Nach kürzester Zeit verloren sie die von Georgi ausgebrachten schwarzen Fähnchen aus den Augen und fuhren einfach immer weiter übers Eis, ohne die geringste Ahnung, wohin es gerade ging. Der Lärm des Propellers, neben sich Kraus’ im Fahrersitz holpernde Gestalt, vor ihnen die fallenden Flocken, die nach allen Richtungen fortsprangen wie ein Sternschnuppenschwarm. Anfangs hatten sie sich manchmal noch etwas zugerufen, aber es war ohnehin nichts zu verstehen.
    Rings um sie stand unbeweglich das leuchtende Grau ohne jede Kontur, manchmal schienen sie zu schweben, als wären sie schon gar nicht mehr von dieser Welt. Keines der Fähnchen war zu sehen, kein Depot. Schließlich machten sie kehrt und fuhren in den letzten Resten ihrer eigenen Spur zurück zu ihrem Zelt hoch über der Küste. Am Ende war der Tag zu nichts als heillosem Benzinverbrauch gut gewesen. Sie hätten wohl eine halbe Tonne Ladung aufnehmen und bis Kilometer 200 bringen können. Stattdessen hatten sie nichts als einen Haufen Erfahrung gesammelt, die jetzt, im Schlafsack, so schwer auf Wegener lastete wie
ein vollbeladener Schneespatz. Es war der letzte Tag im August.
     
    Auch die nächsten Wochen brachten Neuschnee, klebrig und jede Spur verwischend. Wie leicht wäre alles gewesen, wenn sie nur zehn oder zwanzig Tage früher mit den Transporten hätten beginnen können.
    Sie luden ein, brachen auf, fuhren unter unendlichen Mühen ein winziges Stück weit, blieben dann stecken, luden aus, kehrten entmutigt zurück. Sie kamen kaum gegen Wind und Schneefegen an. Sobald sich zudem eine kleine Steigung zeigte, blieben sie mit ihrer Ladung gänzlich stehen. Überall an der Strecke türmten sich unterdessen die Zwischendepots mit all dem Gut, das unbedingt noch zur Station Eismitte musste: in erster Linie das Haus und große Mengen an Petroleum. Im Windschatten der Kisten türmten sich gewaltige Schneewehen, in denen ihre Habe allmählich versank.

    Es half nichts. Die erste Hälfte des Septembers verging ohne Wetterbesserung, der Sommer mit den glatten Schlittenbahnen und windstillen Tagen war vorbei. Ganz allmählich nur, so langsam, wie sich der neue Schnee auf den älteren legte, der davon dichter und fester wurde, zu Firn und endlich zu Eis, fand Wegener zu der Einsicht, dass die Zeit seine Pläne zerriss und in alle Winde trieb.
    Zumindest die in die Motorschlitten gesetzte Hoffnung erwies sich als trügerisch. Es war zu spät im Jahr für diese Technik. Sie brauchten eine weitere große Hundeschlittenreise
ins Innere, um all das Material nach Eismitte zu bringen, das im näher rückenden arktischen Winter unersetzlich

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