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Alles nicht so einfach

Alles nicht so einfach

Titel: Alles nicht so einfach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cora Carmack
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davon. Ich sah ihm nach und bekämpfte den verrückten Impuls, ihm nachzulaufen.
    Ganz egal, was ich empfand … zwischen uns konnte einfach nichts sein.
    Am Mittwoch blieb ich bis zur letzten Minute im Aufenthaltsraum, damit die Klasse bereits voll war, wenn ich dort ankam. Wie gefordert hatte ich ein Foto von mir und meinen Lebenslauf dabei und setzte mich mit Cade ziemlich in die Ecke, sodass etwa ein Dutzend Leute zwischen Garrick und mir waren.
    Kurz nach neun rief Garrick die Klasse zur Ordnung. »Also, wie ich am Montag bereits gesagt habe, vergeuden wir hier keine Zeit. Wir stürzen uns gleich mitten hinein. Heute tun wir mal so, als hätten wir ein Vorsprechen, und lesen dazu aus dem Stegreif aus
Endstation Sehnsucht
von Tennessee Williams. Wer es bisher noch nicht gelesen hat, sollte sich spätestens jetzt fragen, ob er das richtige Hauptfach gewählt hat. Ich habe euch in Paare eingeteilt. Wer wem zugeordnet ist und was ihr lesen sollt, findet ihr auf dem Tisch zu meiner Linken. Ich werde euch dann hinausschicken, dann könnt ihr euch zehn Minuten vorbereiten, bevor ich die erste Gruppe hereinrufe. Ihr werdet sehen, dass ich die Szene aus dem Stück ausgesucht habe, die darin gipfelt, dass Stanley Blanche, die Schwester seiner Frau, vergewaltigt.«
    »Mann, echt? Er vergewaltigt sie?« Das kam von Dom, der offenbar zu denjenigen gehörte, die ihr Hauptfach noch mal überdenken sollten.
    »Ja, Dom. Nun, die Schwierigkeit eines Vorsprechens besteht darin, dass man oft Szenen mit Höhepunkten darstellen muss, und zwar ohne den Vorteil, eine ganze Aufführung lang die Spannung bis zu diesem Moment aufbauen zu können. Ihr geht quasi emotional blind in dieses Vorsprechen hinein. Der Moment kurz davor ist extrem wichtig. Ihr habt zehn Minuten Zeit, einen Bezug zu eurem Partner und zu eurer Rolle herzustellen. Viel Glück!«
    Er trat zur Seite, und die Schauspieler stürzten auf den Tisch zu wie beim Sommerschlussverkauf bei Walmart. Alle versuchten, schnell ihr Blatt zu erwischen und herauszufinden, wer ihr Partner war. Mir war eigentlich gar nicht danach, mich in den Mob zu werfen, aber Kelsey packte mich am Ellbogen und ließ mir keine andere Wahl.
    Ich schnappte mir das Blatt und erkannte die Szene. Es war kein Scherz gewesen, als Garrick gesagt hatte, dass sie direkt vor dem Höhepunkt des Stückes anfangen würden. Blanche war bereits total durchgedreht. Ich blickte auf die Liste der Paare. Das war ja mal wieder klar … ich war Dom zugeordnet.
    Genervt presste ich mir die Hand auf die Stirn, über meinem linken Auge pochte es dumpf. Kurz danach legte mir Dom den Arm um die Schulter.
    »Was sagt man dazu,
Blissful,
wir sind wieder zusammen.«
    Ich schüttelte seinen Arm ab und ging auf die Tür zu. »Lass es uns hinter uns bringen, Dominic.«
    Als ich aus dem Theaterraum hinausging, belagerten die anderen Paare schon überall den Flur. Die einzige Stelle, die noch frei war, befand sich direkt vor den Türen des Theatersaals, was uns mehr oder weniger garantierte, als Erste aufgerufen zu werden. Das bedeutete, dass wir weniger Vorbereitungszeit hatten, als alle anderen. Bei dem Gedanken daran bekam ich die Krise, die Welt war heute eindeutig gegen mich. Na ja, wenigstens wäre ich dann früher mit dem Unterricht fertig.
    »Na schön, Dom, schauen wir mal, was wir da haben.«
    Den Großteil der zehn Minuten verbrachte ich damit, Dom das Stück und die Szene zu erklären. Er war einer dieser gut aussehenden Typen, die perfekt dafür waren, den übertrieben selbstbewussten Volltrottel zu spielen (hauptsächlich deshalb, weil er ein übertrieben selbstbewusster Volltrottel
war),
aber das war’s dann auch schon.
    »Der Typ, den ich spiele, ist also betrunken, was?«
    »Ja, Dom.«
    »Toll. Und du bist verrückt?«
    Ich seufzte. »Ja, so könnte man das sagen. Ich bin ein bisschen paranoid, und du zerstörst meine Selbsttäuschungen.«
    »Großartig. Und dann stürze ich mich auf dich.«
    Ich verdrehte die Augen. Was soll’s.
    »Ja, genau. Jedenfalls sitze ich am Anfang auf dem Stuhl und du kommst von links auf die Bühne, okay? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er uns die ganze Szene spielen lässt, sie ist nämlich ziemlich lang.«
    Und für mehr blieb uns keine Zeit, denn die Tür öffnete sich und Garricks Blick fiel auf mich. »Bliss, Dom, seid ihr bereit?«
    Dom zog mich gegen meinen Willen auf die Füße und erwiderte: »Na klar, Garrick.«
    Bereit
war das genau Gegenteil von dem, was ich empfand.

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