Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
Brokkolistrünke, Eierschalen, Bohnenhülsen und Avocadokerne gab. Und ich würde mich fragen: Wo sind die Obst- und Gemüseabfälle?
Da ich den Müll einer der reichsten Zivilisationen der Menschheitsgeschichte untersuchte, würde ich wissen wollen: Wo waren die Spuren eines guten Lebens? Wo waren die Spuren einer Familie, die doch mehr als genug Möglichkeiten hatte, sich wohlschmeckend und gesund zu ernähren? Warum nahm eine einigermaßen gutsituierte, innerstädtisch lebende Familie wie diese sich offensichtlich nicht die Zeit, anständige Mahlzeiten zu kochen? Und sich dann gemeinsam an den gedeckten Tisch zu setzen und in aller Ruhe zu essen, anstatt hastig etwas aus Plastikbehältern hinunterzuschlingen?
Bevor wir mit dem Projekt begannen, sah für Michelle und mich ein normaler Arbeitstag ungefähr folgendermaßen aus:
Wir wachten auf, spielten und schmusten eine halbe Stunde mit Isabella, gaben ihr ihre Milch, befreiten sie rasch von der einen Wegwerfwindel und legten ihr eine neue an, steckten sie in ein Kleidchen von Lucky Wang, kämmten ihr die Knoten aus dem Haar, liefen einmal mit Frankie um den Block (wobei wir ihren Haufen mit einer Plastiktüte von der Essenslieferung am Abend zuvor aufsammelten), legten einen kurzen Stopp bei Thé Adoré an der Ecke Thirteenth Street ein, um einen Kaffee und ein Croissant einzuwerfen (sofern wir sie uns nicht liefern ließen), brachten Isabella zu Peggy, ihrer Tagesmutter, fuhren zur Arbeit, schufteten zehn Stunden lang, holten Isabella wieder ab, gingen nach Hause, gaben ihr wieder ihre Milch, tobten ein bisschen mit ihr herum, sangen und lasen ihr etwas vor, legten sie in ihr Bettchen, flehten sie an, sich an ihre Schmusedecke zu kuscheln und zu schlafen, wiederholten das Spielchen aufgrund ihres energischen Protests noch weitere zwanzigMinuten, sanken erschöpft aufs Sofa, schalteten den Fernseher ein, stritten uns darum, wer von uns beiden noch mal die Schuhe anziehen und mit Frankie rausgehen sollte, fielen ins Bett, schliefen, wachten auf und begannen am nächsten Tag das Ganze wieder von vorn.
Mit anderen Worten: Wer hatte da die Zeit, Möhren zu raspeln oder auch nur in den Laden zu gehen und welche zu kaufen? Wer hatte die Zeit, am Küchentisch zu sitzen und gemütlich im Kreis der Familie zu essen? Stattdessen riefen Michelle und ich bei Big Enchilada an, wenn wir Reis und Bohnen wollten, bei Japonica für Sushi, bei Bagel Bob’s fürs Frühstück (wenn wir mal eine Abwechslung vom Thé Adoré brauchten), bei Souen Macrobiotic, wenn wir ein schlechtes Gewissen hatten wegen des ganzen Fastfoods, oder bei Two Boots Pizza, wenn wir wieder realistisch genug waren festzustellen, dass wir es sowieso nicht schaffen würden, uns gesund zu ernähren.
Ich will mich gar nicht beschweren, denn wenn man mal von dem Hamsterrad-Element absieht, hatte das, was ich da beschrieben habe, durchaus seine schönen Seiten – nämlich das, was man einen »hohen Lebensstandard« nennt. Die Frage ist, wenn man das Hamsterrad-Element wieder einbezieht, ist dieser »hohe Lebensstandard« dann dasselbe wie eine gute Lebensqualität?
Doch wer stellte schon Fragen? Gemessen an dem Kreis der in New York lebenden berufstätigen Eltern, zu dem wir gehörten, war unser hektischer Alltag ziemlich normal. Wenn wir auf unserem Stammspielplatz am Washington Square Park zusammenstanden und unsere Freunde fragten, wann sie das letzte Mal für ihre Kinder gekocht hatten, lachten wir alle nur schuldbewusst. Und, wie wir gern im Scherz sagten, sobald die Kinder zwei Jahre alt sind und gelernt haben, Kalamari oder Ente mit Mango zu verlangen, ist der Zug sowieso abgefahren.
Wie sich herausstellte, waren die Essensbehälter aus unseren drei Müllsäcken Teil eines riesigen, mit Knoblauchsauce getränkten Haufens aus thermoplastisch bearbeitetenKohlenwasserstoffen und anderen Chemikalien, die nach etwa zwanzig Minuten Benutzung auf Müllhalden oder in Müllverbrennungsanlagen landen und sich dann als unerwünschter Zusatz in unserem Trinkwasser wiederfinden und in der Luft, die wir atmen.
Nach Angaben der Umweltschutzbehörde machen überall im Land die Lebensmittelverpackungen rund zwanzig Prozent des feststofflichen Mülls aus. Somit würde der Archäologe, der unseren Müll studiert, zu dem Schluss kommen, dass es nicht nur die Großstädter sind, die keine Zeit zum Kochen haben. Eine Menge Vorstadtbewohner kommen auch nicht dazu, Möhren zu raspeln. Deren Verpackungsmüll stammt dann
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