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Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)

Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)

Titel: Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Beavan
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saßen wir da, bis die leuchtenden Töne verschwunden waren und Himmel und Wasser in sanftem Purpur dalagen. Manchmal flogen Schwäne vorbei, oder ein paar Gänse.
    Wir sahen uns den Sonnenuntergang an. Dann aßen wir.
    Wenn meine Großmutter das Geschirr abwusch, stellte ich mich oft neben sie, und wir schauten hinaus auf die Natursteinmauer in ihrem Garten, wo die Streifenhörnchen ihre Höhle hatten. »Das da ist der Vater«, sagte meine Großmutter. »Und das sind die Jungen.« Und Vögel kamen. Ein Rotschulterstärling, erklärte meine Großmutter mir. Ein Goldfink.
    Als ich klein war, wusste ich das nicht recht zu schätzen, aber heute frage ich mich manchmal, ob es nicht die Welt meiner Großeltern ist, nach der ich mich sehne. Vielleicht denken Sie, das sind Dinge, die man nur auf dem Land erleben kann, aber es gibt auch in der Stadt etwas zu sehen. Der Sonnenuntergang zum Beispiel spiegelt sich in den obersten Fenstern der Hochhäuser von Manhattan. Man kann den Sonnenuntergang also auch betrachten, wenn man sich nach Osten wendet. Es ist, als würde man das Publikum ansehen und nicht das Stück, das auf der Bühne gespielt wird.
    Das Problem ist nur, um in den Genuss solcher Dinge zu kommen, müsste ich mir die Zeit nehmen, innezuhalten und hinzusehen.
     
    Nachdem ich unseren ganzen Müll wieder in die schwarzen Säcke gestopft hatte, ging mir auf, dass es einen Grund dafür gab, dass ich ihn nicht ansehen wollte. Aus diesem Grund sind Müllsäcke nicht aus durchsichtigem Plastik. Und aus demselben Grund bewahrt unsere Zivilisation die sterblichen Überreste ihrer Mitglieder in verschlossenen Särgen auf. Das, was wir sonst sehen würden, behagt uns nicht.
    Denn wenn wir jeden Tag unseren Müll sehen müssten, wären Menschen wie ich jeden Tag mit unangenehmen Fragen nach unserem Lebensstil konfrontiert. Beispielsweise mit der, die mich beschäftigte, als ich meine drei Säcke nach unten in die Container schleppte: Schuften wir für all diese »Bequemlichkeiten«, um zu leben, oder leben wir, um für all diese »Bequemlichkeiten« zu schuften?
    Als ich da inmitten der Überreste meines Alltags saß, dachte ich plötzlich bei mir, dass ich viel zu wenig Zeit mit meiner kleinen Tochter und meiner Frau und meinen Freunden verbrachte und dass ich mir mit einer Arbeit mühsam meinen Lebensunterhalt verdiente, die mir eigentlich keinen Spaß machte, und dass ich meine Zeit und mein Geld für Dinge hergab, die ich zehn Minuten später wegwarf.
    Als ich jung war, erschienen mir die Regeln meiner Großeltern sinnlos. Tu dies nicht, tu das nicht. Und weshalb? Aus Pietät? Scheinheiligkeit? Aber Weltwirtschaftskrise hin oder her – irgendetwas an ihrem Bemühen, nichts zu verschwenden und Dankbarkeit für das zu empfinden, was sie hatten, schien verbunden zu sein mit der Fähigkeit, sich die Zeit zu nehmen, dem Sonnenuntergang und den Streifenhörnchen zuzusehen.
    Da sitzt man nun inmitten seines Mülls, sieht sein Leben vor sich ausgebreitet, sieht, was ein Archäologe sehen würde, wenn er in 1000 Jahren versuchte, dieses Leben zu rekonstruieren, und man fragt sich: Wenn Leben Leben erzeugt und Tod Tod, erzeugt Müll dann auch Müll? Wenn mein Leben Müll erzeugt, was sagt das über mein Leben aus? Ist die Verschwendung von Rohstoffen ein Zeichen für die Verschwendung von Leben?
    Eine halbe Stunde Beschäftigung mit meinem Müll, und schon steckte ich bis zum Hals in einem existentiellen Konflikt. Gab es, mal abgesehen von der Sache mit meinen Großeltern, eine tiefere Lebensweisheit, die ich aus dieser Müllgeschichte ziehen konnte? Obwohl ich kein Jude bin, beschloss ich, dem Mann zu mailen, den ich »meinen Rabbi« nenne.
    Ich hatte Rabbi Steven Greenberg während einer Zugfahrt von New York nach Washington kennengelernt. Als ich von der Toilette zurückkam, sah ich, dass mein Vater, der mich begleitete, dem Fremden auf dem gegenüberliegenden Platz eine Ausgabe meines gerade erschienenen Buchs
Operation Jedburgh
gegeben hatte.
    »Sie sind also Schriftsteller«, sagte der Fremde.
    Ich war entsetzt. Ich wollte nicht mit Fremden über meinen Beruf reden, doch dann sagte der Fremde: »Ich auch.« Wie sich herausstellte, hatte Steven
Wrestling with God and Men
geschrieben, ein Buch über Homosexualität in der jüdischen Überlieferung.
    »Sind Sie schwul?«, fragte ich ihn.
    »Ja.«
    »Und Sie sind Rabbi?«
    »Ja.«
    Ich konnte es mir nicht verkneifen: »Was sagt Ihre Mutter denn dazu?«
    Steven lachte, erzählte

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