Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
mir tolle Geschichten, und seither ist er ein guter Freund von mir – und mein Rabbi.
So fragte ich Steven in meiner Mail, ob es irgendwelche religiösen Verbote gegen die Art von Müll gab, die ich auf dem Fußboden ausgebreitet hatte. Gab es irgendetwas, das die Werte meiner Großeltern bestätigte? Wie ich schon sagte, hielt ich nichts von Pietät um ihrer selbst willen, aber ich war neugierig, ob die Weisheit alter Zeiten meine Frage beantworten konnte, ob Müll Müll erzeugte und ob ich mit meiner Verschwendung von Rohstoffen auch mein Leben verschwendete.
Steven antwortete mir, dass Moses als Teil der Gebote, die befolgt werden mussten, um ins Land der Verheißung zu gelangen, verkündet hatte, in Zeiten des Krieges dürfe man keine Obstbäume fällen. Ich bin natürlich kein geistlicher Gelehrter, aber in meiner eigenen metaphorischen Übertragung könnte das bedeuten: Wenn man im Frieden mit sich sein will (Land der Verheißung), darf man durch die Art, wie man lebt (Kriegsführung), keine lebenspendenden Rohstoffe verschwenden (Obstbäume).
Das ist meine Schlussfolgerung, nicht die von Rabbi Steven, aber er sagte mir auch, dass die Rabbiner aus dem zweiten Jahrhundert, deren Diskussionen im Talmud festgehalten sind, diese Passage aus Moses’ Predigt als Ermahnung interpretierten, nicht unnötig zu zerstören. »Dieses Gebot gilt nicht nur für Bäume«, schrieben sie, »sondern jeder, der Behältnisse zerbricht, Kleider zerfetzt, ein Gebäude niederreißt, einen Brunnen verstopft oder Nahrung vergeudet, verstößt gegen das Gebot ›Du sollst nicht zerstören‹.«
Angesichts des Müllbergs auf meinem Fußboden schien es für mich noch ein ziemlich weiter Weg ins Land der Verheißung zu sein. In meiner vielleicht etwas verrückten Vorstellung – und vermutlich auch in der meiner Großeltern,hätten sie Stevens Mail lesen können –, legte dieser Satz die Vermutung nahe, dass ein Leben der Verschwendung mich weniger glücklich machte, als ich es sein könnte. Dementsprechend müsste ein Leben mit weniger Verschwendung mich glücklicher machen. Diese Vorstellung weckte in mir die Hoffnung, dass die Suche nach einer anderen Lösung, als mir die Nase mit einem Stück Klopapier zu putzen, für das ein Baum sterben musste, und das Bemühen, generell weniger Müll zu verursachen, erfüllender sein könnte, als ich gedacht hatte.
Es gibt noch eine andere religiöse Geschichte, an die mein Müllberg mich erinnerte. Sie hat mit den fünf buddhistischen Sittlichkeitsregeln zu tun, die den Zehn Geboten des Judentums und des Christentums ähneln. Diese Regeln stehen aus meiner Sicht für eine Lebenseinstellung, die sowohl einem selbst als auch den anderen Frieden bringt.
Die erste Regel, die in etwa dem biblischen »Du sollst nicht töten« entspricht, wird nicht nur auf Menschen, sondern auf alles Lebende bezogen. In unserer kleinen Geschichte also sitzt ein Zen-Meister unter einem Baum und meditiert, als einer seiner Mönche mit einem großen Topf an ihm vorbeieilt, um Wasser aus dem Brunnen zu holen. Nachdem er den Topf gefüllt hat, eilt der Mönch erneut am Zen-Meister vorbei, und beim Laufen verschüttet er einen Teil des Wassers. »He, du!«, ruft der Zen-Meister ihm hinterher. »Warum tötest du das Wasser?«
Die Wortwahl ist wichtig. Denn der Zen-Meister will damit sagen, dass der Mönch gegen den Geist der ersten Sittlichkeitsregel verstößt, die, genau wie Moses’ Ermahnung, keine Bäume zu fällen, über das Töten im eigentlichen Sinn hinausgeht und auch das Verschwenden und Zerstören umfasst. Das unnötige Verschwenden und Zerstören ist ein Zeichen dafür, dass der Mönch es an Achtsamkeit gegenüber dem Hier und Jetzt fehlen lässt. Es zeigt, dass im Leben des Mönchs auf einer tieferen Ebene etwas nicht stimmt. Vielleicht mangelt es ihm, genau wie mir, an Sonnenuntergängen und Streifenhörnchen.
Warum kümmerst du dich mehr darum, wohin du gehst, als darum, wo du bist?, hätte der Zen-Meister auch fragen können. Warum kümmerst du dich mehr um das, was du tun wirst, als um das, was du tust? Warum achtest du nicht darauf, wie du dein Leben genau jetzt, in diesem Augenblick führst? Warum verschwendest du diesen Augenblick? Warum verschwendest du dein Leben?
Ein großer Teil meines Mülls und meiner Verschwendung resultierte aus dem Bemühen, meinen Alltag und den meiner Familie einfacher zu gestalten, unsere Bedürfnisse möglichst schnell und unkompliziert zu befriedigen. Aber musste
Weitere Kostenlose Bücher