Alles über Elfen (German Edition)
ihnen in der Umsetzung etwas derart Fließendes und Weiches, das es für einen Fremden schwer sein kann, das abgebildete Lebewesen zu identifizieren. Wer einen ungefähren Eindruck von dieser spannenden Bildsprache gewinnen möchte, sollte sich einmal näher mit polynesischer Kunst oder Eskimokunst befassen.
Bildhauerei
Auch in der Schaffung von Skulpturen, Büsten und Standbildern bleiben die höfischen Elfen einem strengen Naturalismus verhaftet. [Christiansen: Also, »naturalistisch« im eigentlichen Sinn würde ich das nicht nennen. Die Elfen schaffen zwar anscheinend größtenteils Kunst, die die Wirklichkeit möglichst detailgetreu abbilden soll, aber Naturalismus zeichnet sich insbesondere auch durch eine bestimmte Haltung zu seinen Sujets aus: Das Hässliche, das für den Betrachter Unangenehme und das sich aus sozialen Unterschieden ergebende, oftmals triste »einfache Leben« wird dabei auf gar keinen Fall ausgespart. Und mir ist bislang noch kein elfisches Kunstwerk untergekommen, das arme Bauern bei der Feldarbeit oder gramgebeugte Arbeiter am Webstuhl zeigen würde. Plischke: Das Fehlen dieser Motive könnte aber auch schlicht darin begründet liegen, dass es den Elfen gelungen ist, eine Gesellschaft zu schaffen, in der es weder arme Bauern noch gramgebeugte Arbeiter gibt. Christiansen: Sie sind und bleiben ein hoffnungsloser Utopist, Herr Kollege!] Abstraktion ist auch in dieser künstlerischen Disziplin nicht weiter gefragt. Darüber hinaus weist das von Peter Jackson fest in unser aller kulturelles Gedächtnis verankerte Bildmaterial darauf hin, dass Tolkiens Elfen im Wesentlichen aus zwei Motivationen heraus Bildhauerei betreiben:
Als Erstes wären hier Dekorationszwecke zu nennen. Standbilder werden vermehrt in großen Hallen und weitläufigen Gärten aufgestellt, die ohne sie etwas … nun … karg und ungeschmückt wirken würden. Dagegen ist nicht das Geringste einzuwenden, und es gibt auch keinen Anlass, deshalb spöttisch mit dem Finger auf die Elfen zu zeigen und etwas von »kitschiger Gebrauchskunst« zu murmeln. Wir sollten nämlich nicht vergessen, dass es unter uns Menschen genügend Beispiele für allerlei fragwürdige Dekoskulpturen gibt, mit denen wir unsere Beete oder Wohnzimmerregale zupflastern. Ich sage nur: Gartenzwerge, Engelsfiguren oder wie Kleinkinder aus der Biedermeierzeit gekleidete Puppen.
Der zweite Grund, aus dem höfische Elfen Skulpturen schaffen, ist für uns Menschen ähnlich nachvollziehbar: Sie dienen oft als Mahn- oder Denkmäler. Wer als Elf ein besonders tugendhaftes Leben führt oder ein über alle Maßen tragisches Schicksal erfährt, hat gute Chancen, als Standbild verewigt zu werden. Wer noch dazu stärker in der Öffentlichkeit steht als andere, für den steigen besagte Chancen noch einmal dramatisch an. Wird einem einfachen Elfen diese Ehre zuteil, der sein Baumhaus immer schön ordentlich und einladend sauber hielt? Oder einem, der bei einem heftigen Sturm von einem herabfallenden Ast erschlagen wurde? Höchstwahrscheinlich nicht. Wie sieht es mit einem Elfen von edlem Geblüt aus, dem es gelang, alle Rehe des Waldes von einer grauenhaften Seuche zu heilen, die drohte, die zarten Geschöpfe allesamt dahinzuraffen? Oder einem Elfenkönig, der auf der Jagd versehentlich den weißen Schleier seiner Geliebten mit dem Gefieder einer Taube verwechselte und ihr mit einem seiner Pfeile das unschuldige Herz durchbohrte? Eine solche Person kann damit rechnen, sein Antlitz für die Ewigkeit bewahrt zu sehen. [Christiansen: Wer jetzt noch behauptet, die Elfen wären eine egalitäre Gesellschaft, in der im Grunde alle Gleiche unter Gleichen sind, hat definitiv nicht mehr alle Nadeln an der Tanne.]
Scharfsinnige Geister könnten nun vielleicht fragen: »Wozu brauchen die Elfen mit ihrer langen Lebensspanne denn überhaupt so etwas wie Denk- oder Mahnmale? Ist die Erinnerung an glückliche oder unglückliche Ereignisse nicht ohnehin buchstäblich lebendig?« Nun, zum einen werden schließlich auch neue Elfenkinder geboren – so selten dieses Ereignis verglichen zu uns Menschen auch immer sein mag –, und diese nachfolgenden Generationen haben auch ein Anrecht auf plastische Darstellungen großer Helden oder besonders vom Schicksal gebeutelter Vertreter ihres Volkes. Zum anderen könnte man argumentieren, dass das Schaffen von Statuen – und anderer Kunst, die dem Bewahren eines Gedenkens dient – Ausdruck genau jener elfischen Ernsthaftigkeit ist, ganz
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