Alles über Elfen (German Edition)
sind, als auch für die eben erwähnten »Menschenschrecken«, mit denen sie uns zu vergraulen pflegen. Auf die Fetische und Totems bezogen, ist dieser Hang zur möglichst perfekten Nachahmung der Originalvorlage in der Weltsicht vieler Stämme alles andere als ungewöhnlich: Wenn man als im Dschungel beheimatete Sippe beispielsweise dem Geist eines Paradiesvogels Verehrung entgegenbringt, wäre es unhöflich, wenn nicht gar ein echter Frevel, bei den entsprechenden Zeremonien um eine Vogelstatuette in langweiligem, stumpfem Holzbraun zu tanzen.
Literatur
Es mag den einen oder anderen Elfenkritiker verwundern, dass das Schöne Volk etwas derart Profanes wie Bücher- und Bücherregale kennt. In Wahrheit jedoch schätzen die Elfen Bildung und Wissen sehr, und zumindest unter den höfischen Elfen stellt das geschriebene Wort ein mehr als probates Mittel zur Aufzeichnung und Verbreitung von Informationen dar. [Plischke: Die Elfen vergeben anscheinend sogar Autorenstipendien – immerhin findet Bilbo Beutlin Aufnahme in Elronds Haus, als er an seinem Buch weiterschreiben möchte. Christiansen: Also mir wär’s da ja zu fad … Plischke: Keine Ausreden. Sie als norddeutsches Flachlandgewächs mögen nur einfach keine gebirgigen Regionen] Nun ist reine Informationsweitergabe ja noch keine Literatur, doch hier besteht insofern ein Zusammenhang, als dass die höfischen Elfen große Freunde der epischen Dichtung sind. Will meinen: Ein Großteil dessen, was sie zur Erbauung lesen, sind in Versform verfasste Erzählungen über Ereignisse aus ihrer eigenen Vergangenheit. Eines der Beispiele, die Tolkien nennt, ist das Cuivienyarna, das die Schöpfungsgeschichte der Elfen zum Inhalt hat. Grundsätzlich sollte man jedoch stets im Hinterkopf behalten, dass diese Verse mehr für den öffentlichen Vortrag (und zwar gesungen und mit musikalischer Begleitung) denn als abendliche Bettlektüre gedacht sind. Wieder einmal werden wir hier mit dem Umstand konfrontiert, dass die elfische Kultur eine Kultur des Erinnerns und Verinnerlichens ist. Die Frage, wie die Elfen rein fiktionalen Erzählungen gegenüberstehen, bietet reichlich Raum für allerlei Hypothesen. Manche Elfologenfraktionen sind absolut überzeugt davon, dass das Schöne Volk einen reichhaltigen Schatz an allerlei Ersonnenem zu bieten hat, der fremden Besuchern jedoch in aller Regel verschlossen bleibt. Dies geschieht nicht einmal zwingend aus bösem Willen oder auch nur dem Versuch, ein eifersüchtig gehütetes Geheimnis aus elfischer Literatur zu machen. Schließlich sind die Gepflogenheiten beim Empfangen von Gästen unseren womöglich gar nicht so unähnlich, noch dazu, wenn sie von weit herkommen und mit unserer Kultur noch nicht sehr gut vertraut sind. Also entschließt man sich bei solchen Gelegenheiten, nicht auf die Avantgarde, sondern auf das Altbewährte und Symbolträchtige zurückzugreifen. Anders gesagt: Wenn bei uns ein Staatschef den anderen begrüßt, spielt die Blaskapelle in aller Regel ja auch keinen Smashhit aus den alternativen Musikcharts, sondern die Nationalhymne.
Bevor wir nun aber die Grenzen zwischen Musik und Literatur, die bei den Elfen sehr durchlässig zu sein scheinen, nun endgültig verwischen, konzentrieren wir uns lieber rasch wieder auf die Verse der Elfenepen. In Sachen Lyrik konservativ eingestellte Leser werden sich freuen, dass von den höfischen Elfen keine poetischen Experimente zu erwarten sind. Wie in allen anderen Bereichen ihrer Kunst hängen sie einem klassischen Ideal an, was »gute« Lyrik ausmacht. Es gilt, das Versmaß einzuhalten und das gewählte Reimschema zu achten. Freie Verse ohne Reim und Metrik, aber dafür mit schwankenden Zeilenlängen haben für die Elfen vermutlich nichts mit Lyrik, aber dafür sehr viel mit ungeordnetem Geplapper zu tun. Wir können des Weiteren wohl davon ausgehen, dass die höfischen Elfen das Prinzip der Gattungsreinheit befolgen. So hat zum Beispiel in einer tragischen Erzählung Humor nichts verloren – sonst wäre sie ja nicht mehr wirklich tragisch. Ausschweifende Schlenker in den epischen Geschichten der Elfen sind hingegen durchaus erlaubt, und auf ungeduldige Leser können sie daher manchmal ein wenig schwer und zäh wirken. Wer sich durchbeißt, wird jedoch mit vielen Stellen belohnt, die einen ob der Klarheit der darin zum Ausdruck gebrachten Gefühle tief berühren. [Plischke: Obwohl hier für all jene, die die Schilderungen ehrlicher, unverfälschter Gemütsregungen für
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