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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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Fahne» –; der Vater in seiner weißen Uniform und ein Trupp Häftlinge mit der Mutter in ihrer Mitte? Und alle schwer an einer großen Kette tragend?
    Und er dachte an das bunte Bild, das in Elfies Zimmer über der Tür gehangen hatte, an die nackichten Heinzelmännchen, die ein Blumengebinde in die Höhe heben. Das war keine Kette, es waren Blumen gewesen.
     
    Inzwischen hatte Hofer die Meerschaumspitze in die Tasche gesteckt, hatte sich wieder ans Klavier gesetzt und hottete mit seinem linken Arm irgendeinen Jazz vor sich hin. Das dauerte so lange, bis ein Mann Heil Hitler! zu ihm sagte und ihn fragte, ob das geht, in dieser schweren Zeit? Wo draußen auf der Straße all die Flüchtlingswagen stehen, und er spielt hier «Niggerjatz»?Der Mann hatte ein Glasauge, der hatte weiter hinten im Lokal gesessen und schon eine ganze Weile den Kopf geschüttelt.
    Und Peter wurde gefragt, was er hier zu suchen hat, und daß er erst zwölf ist und sitzt hier im Café? Da wird er der Hitlerjugend mal Bescheid sagen, die wird sich dann schon um ihn kümmern.
    Ob das die deutsche Jugend ist? fragte er die Umsitzenden, die hier im Café herumsaß und mit den Kaffeetassen klapperte, wo die Heimat ums Überleben kämpft?
     
    Da stand Hofer auf, Heil Hitler, und da sah der Mann, daß er nur einen Arm hatte. Und Hofer klappte das Klavier zu und fragte den Mann: was er hier überhaupt zu suchen hat, hier in der warmen Stube, hinterm Ofen, weit vom Schuß? Er soll sich an die Front scheren und so weiter. Und er drängte ihn ab, rief: «Zahlen! » und holte sein Portemonnaie aus der Tasche und öffnete es nach der Art von Einarmigen mit Daumen und Zeigefinger. Er wundere sich darüber, daß einem Verwundeten nicht die kleinste Freude gegönnt wird, sagte er zu den Damen mit Hut, die hier herumsaßen.
    Peter wollte ihm helfen beim Öffnen des Portemonnaies. Aber Hofer verwehrte ihm die Hilfestellung und bezahlte zwei Mark und fünfzig für sein Bier und für Peters Schaumspeise. «Was bin ich froh, daß ich keinen Bauchschuß habe!» sagte er und schrieb seine Feldpostnummer in aller Eile auf den Bierdeckel, wenn mal was ist, und er benutzte dazu einen silbernen Drehbleistift – auch der kam Peter bekannt vor.
     
    Dann rief er «Horrido» und entschwand durch den Windfang nach draußen. Schade, auch diese kleine Freude hatte man ihm verdorben.
     
    Der Junge ging zum Frisör nach nebenan und ließ sich die Haare schneiden. «Heil Hitler», sagte er, aber der Frisör war Holländer, und der antwortete nicht.
    «Darf’s auch eine Rasur sein?» fragte der Mann. Das war spaßig gemeint, denn auf Peters Wangen zeigte sich nur ein wenig Flaum. Er pfiff eine vaterländische Melodie, die sich sehr nach einem Volkslied anhörte.
    Fünfzig Pfennig kostete der Haarschnitt, und das wäre schnell abgemacht gewesen, wenn Peter nicht von erdbraunen Gestalten erzählt hätte, die geduckt an seinem Versteck vorübergelaufen wären, und da wurde der Holländer denn doch ein bißchen nachdenklich. Er machte den Klappermann mit Kamm und Schere und guckte sich Peter im Spiegel an. Daß ein junger Mensch schon so viel mitgemacht hat? Und, das fragte er sich in diesem Augenblick auch, wie würde es sein, wenn er nach Hause kommt? Würde man ihn nicht zur Rechenschaft ziehen? War er nicht freiwillig nach Deutschland gegangen, um den Moffen die Haare zu schneiden?
    Er bürstete Peter den Kragen ab und sagte: «So long! »
    Vor der Tür wartete der Mann mit dem Glasauge. «Ich hatte genau so einen Sohn wie du bist», sagte er. «Laß dich nicht verlottern, hörst du.»
     
    Diesmal war es die Tante, die zu spät kam. In den Läden waren allerhand Waren freigegeben worden, und da hatte sie Waschpulver gekauft, ohne Marken!
    Dabei hatte sie einen netten Herrn kennengelernt, wie sie jetzt erzählte, Guten Tag!, der ihr behilflich gewesen war, und mit dem dann noch ein bißchen geklönt. Der Herr kam auch aus Schlesien, war also ein Landsmann, die Welt ist ein Dorf.
    «Gott sei Dank, Junge, daß du schon da bist! Geh du mir bloß nicht auch noch verloren!»
    Etwas gehbehindert sei der Mann, ziehe das linke Bein ein wenig nach, aber das mache ja nichts. Es gibt eben überall gute Menschen.
     
    Und dann setzte sich das Tantchen zu Peter in die Kutsche, sie machten es sich gemütlich und vesperten. Es gab so manche liebe Seele, die ihnen dabei aufmerksam zuguckte, an den Fensterscheiben zeigten sich die lieben Seelen, blaß, und das Tantchen zog den Vorhang
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