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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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zurückgekommen und stand hier, als wenn nichts wär’? Es tut mir leid, die Sache war so und so ...?
    Ein Bauer pißte unter seinen Wagen, wo sollte er es sonst tun? Die Leute machten etwas Platz.
     
    Aus dem Stadtcafé war kein Klavierspiel zu hören. Da wurde gerade gelüftet. Ein Offizier mit Ritterkreuz trat hinein, Heil Hitler. Der kam gleich wieder heraus, der hatte wohl gedacht, er könnte hier im Warmen sitzen und Kaffee trinken? und nun sind alle Fenster aufgerissen, und es wird gelüftet?
    Ritterkreuz: Mit einem Panzerkeil, entschlossen vorangetrieben, hatte er eine russische Abteilung vernichten können, und nun kriegte man hier keinen Kaffee?
    Den Mantel hatte er vorn auseinandergebogen, damit man den Orden auch sieht.
     
    Peter hatte das Glück, von ihm angesprochen zu werden. «Junge, gibt es in diesem Nest noch ein Café?»
    Peter hätte ihn gerne zur Bahnhofsgaststätte begleitet, aber das wollte der Ordensträger nicht. Der wollte in einem Kaffeehaus sitzen mit Klaviermusik und seine Zigarette rauchen und vielleicht von einer jungen Dame angesprochen werden, die ihn fragt, woher er das Kreuz hat? Und der dann ein Stück Roggenmehltorte spendieren und fragen, ob sie sich hier auskennt und was sie so macht, den lieben, langen Tag?
    Er hatte davon gehört, daß in diesem Kaffeehaus Musik gemacht werde. Und nun wurde hier gelüftet?
     
    Der holländische Frisör stand am Ladenfenster und machte den Klappermann. Vielleicht dachte er an die erdbraunen Gestalten, von denen Peter ihm erzählt hatte, daß die geduckt an ihm vorübergelaufen seien? Und Frauen hatten geschrien? – Vielleicht dachte er auch an sein Heimatdorf, wo man ihn bei seinem letzten Urlaub schief angesehen hatte?
    Sein Freund Jan hatte das Glück, ein paar Tage festgesetzt worden zu sein, weil er hämisch gegrinst hatte, als man ihm den Hitlergruß entbot. Und der hatte das schriftlich! Das würde eines Tages zu Buche schlagen. Eines Tages! Freuen tat man sich auf die Heimat, und man fürchtete sich gleichermaßen davor.
     
    Im Schreibwarengeschäft, Heil Hitler, gab es Rätselhefte im Feldpostformat. Für die Soldaten an der Front, wenn sie im Graben saßen und den Feind erwarteten. «Kluges Köpfchen» hießen die und «Gripsmassage». Es gab auch Briefmarkenhefte zu kaufen. In Klarsichtumschlägen waren sie zu besichtigen: sauber sortiert wie ein Skatblatt. Hundertundfünfzig Stück für eine Reichsmark. «Republik Österreich» und «Freistaat Danzig», gebrauchtund ungebraucht. «Generalgouvernement»-Marken, die fast nur aus Aufdruck bestanden.
    Peter wollte schon eines dieser Hefte kaufen, er hielt es lange in der Hand, so daß die Verkäuferin schon ungeduldig wurde. Herr Schünemann hatte das doch geraten! Geld anlegen, Briefmarken kaufen!
    Peter ließ es schließlich bleiben, denn auch das Porträt des Führers ließ sich in den Sortimenten ausmachen!
     
    Das Süßholz in der Drogerie war ausverkauft. Heil Hitler! «Warst du nicht schon einmal hier?» fragte ihn der Drogist. Dem kam das seltsam vor, daß ein fremder Junge zweimal hintereinander Süßholz kaufen wollte, wo das Zeug doch schon ausverkauft war?
    «Ich bin Flüchtling ... », sagte Peter. Er kam sich verlassen und einsam vor, als er das sagte, und er sagte es hier zum ersten Mal. Und der Drogist machte sich auch so seine Gedanken. Der klappte den Kasten auf, ob sich nicht doch noch ein Tütchen Süßholz aus Italien darin finden läßt.
     
    Durch das Schaufenster hindurch sah Peter auf der andern Straßenseite das Tantchen mit dem schlesischen Herrn gehen. Das Tantchen mit schwarzem Hut, Muff und Gummiüberschuhen. Der Herr ein wenig hinkend. Wer hielt sich hier an wem fest? Hatte der Mann sich eingehakt?
     
    Aus Mitkau trafen erste Wagenladungen alter Menschen ein. Das Kloster dort war geräumt worden. Auf offenen Pferdewagen transportierte man die Leutchen: dick eingepackt saßen sie auf Stroh. Im Takt wackelten sie mit dem Kopfe, als ob einer mit der Handharmonika lustige Weisen spielte. Das hatten sie auf ihre alten Tage nun doch nicht gedacht, daß sie noch einmalauf die Reise gehen müssen, mit Kanülen wie Igelstacheln nach allen Seiten? Künstlichem Darmausgang und Pneumothorax? Schlecht zu Fuß und Schwierigkeiten beim Wasserlassen?
    In Mitkau war es doch gar nicht so übel gewesen, dort hatte man sich doch schon eingewöhnt? «Weshalb läßt man uns denn nicht in Ruh’?»
    An ihr schönes Tilsit dachten sie gewiß auch zurück. Im Sommer immer
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