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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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welche auf den Deckel kriegen, das stand fest, dieser Mann, der es doch immer so gut gehabt hatte bei den Globigs, und läßt einen hier warten? – Sie schickte Peter wieder und wieder aus, aber Peter fand Wladimir nicht. Den Wagen fand er nicht, und Wladimir fand er auch nicht. Auch Vera war nicht zu entdecken.
    Vielleicht war Wladimir ja mit seinem Finger zum Arzt gegangen? Nietnagelentzündung? Auch kein Kinderspiel. Aber morgens, in aller Herrgottsfrüh?
    Die Frauen an der Gulaschkanone fragte er, Heil Hitler!, ob hier ein Mann mit viereckiger Polenmütze erschienen sei; auch den Amtmann von der Partei, der hier für Ordnung sorgte. Kinder, die mit Schneebällen warfen, fragten: ob er nicht mitspielen will? Nein, einen Polen mit eckiger Mütze hatten auch sie nicht gesehen.
     
    Vielleicht hatte man den Polen nicht auf den Platz gelassen, weil er fremdvölkischen Blutes war?
    «Ja, laßt ihr diese Burschen denn frei herumlaufen?» fragte der Parteimann. «Diesen Leuten ist doch nicht über den Weg zu trauen.»
    Es kam dem merkwürdig vor, daß man diesen Ostleuten soviel Vertrauen entgegenbrachte. Er würde sich doch tatsächlich mal erkundigen müssen, ob das überhaupt geht. Er komme nachher mal vorbei, aufnehmen die Sache, alles ganz genau.
    Peter kehrte zur Tante zurück: «Der ist nirgends zu finden ... » «Das kann ja gar nicht sein», sagte das Tantchen, «ich werde mal selbst nachsehen ... . » Und dann fiel es ihr ein: «Aber natürlich, der hat ja gar keine Uhr! Der kann ja gar nicht wissen, wann es fünf ist!»
    Aber auch das brachte die Sache nicht voran, schließlich war die Kirchturmuhr von überall zu hören. Zum Schluß machte sich das Tantchen mit ihren Gummiüberschuhen denn auch selber auf, und sie fand auch ziemlich sofort die dritte Straße rechts, in der Wladimir den Wagen abgestellt hatte. An dem Platz lag ein Haufen Pferdeäpfel. Das war alles. Von dem Wagen keine Spur!
    Alles Rennen durch die Gassen der kleinen Stadt war vergeblich, keinen Winkel ließ sie aus. Und als sie zum Sportplatz zurückkehrte, den bereits Wagen um Wagen verließ – der Wallach ließ bereits die Blicke nach ihr schweifen –, war auch dort kein Wladimir zu sehen. Es hätte ja sein können.
    Kein Zweifel, Wladimir war fort.
     
    Es war klar: Der Pole war auf eigene Faust weitergefahren, wer weiß wohin? Dieser Mensch hatte sie im Stich gelassen. Wollte sich mit seiner Buhle absetzen, vielleicht ins Heimatland durchschlagen? Seine Schäflein ins Trockene bringen? Dort einneues Leben anfangen? Aber wie sollte er sich denn ins Heimatland durchschlagen, da stand doch überall der Russe!
     
    Das Tantchen lief zum Bürgermeister, Heil Hitler, aber das Büro hatte geschlossen! Von da zur Polizei, Heil Hitler, auch da war nichts zu machen. Die Polizisten hatten mit Betrunkenen zu tun, die mit ihren «runden Füßen» über die Straße torkelten. Bis morgen würde sie warten müssen, da würde man sich ihrer annehmen. Jetzt ginge es wirklich nicht. Auf dem Rückweg guckte sie noch einmal in die dritte Straße rechts. Nichts war zu sehen. Da stand bereits ein anderer Wagen, dort hatten sich Fremde breitgemacht.
     
    Sie ging zu dem Parteimann, der auf dem Sportplatz das Sagen hatte, und der riet ihr, am nächsten Morgen Anzeige zu erstatten, das unbedingt tun. Auf jeden Fall Anzeige erstatten! «Die finden den Polacken ganz bestimmt.»
    Eigentlich unverantwortlich, diese Ausländer frei herumlaufen zu lassen ... Daß das überhaupt angängig sei?
     
    Jetzt mußte der Wallach was zu fressen haben, und das Futter war auf Wladimirs Wagen! Was sollte man dem armen Tier vorlegen? Alles lag auf Wladimirs Wagen: die Anzüge, das Bettzeug, das Schmalz, und die Wäsche!
    Der Hafer!
    Da sah das Tantchen, daß hinten auf der Kutsche ein Heuballen hing, der da vorher nicht gehangen hatte. Das hatte Wladimir also immerhin noch getan, an den Wallach hatte er gedacht. Der hatte sogar einen Sack Hafer festgebunden! An das Tier hatte er gedacht, bevor er sich fortstahl. So ganz schlecht, von Grund auf, ist kein Mensch ...
    Wahrscheinlich hatte er das Futter schon in Albertsdorf beiOnkel Josef umgeladen. Als man noch an nichts Böses dachte! Der hatte also schon dort bereits alles sorgfältig geplant!
    «Ist es die Möglichkeit!» rief das Tantchen, und ihr zitterten die Hände. «Diesen Leuten ist man einfach nicht gewachsen!» Und nun fielen ihr wieder und wieder Sachen ein, die auf dem großen Wagen verstaut waren und nun für immer

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