Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
zu.
    Danach schrieb sie eine Postkarte an die Leute auf Georgenhof. Daß sie Onkel Josef nicht mehr angetroffen habe und sich nun bereits auf dem Weg zum Haff befinde. «Denkt mal, Wladimir ist fort! – Liebe Grüße an Katharina!» setzte sie noch hinzu, und sie kam sich dabei sehr mutig vor: Hoffentlich würde sie durch diese Grüße nicht in Schwierigkeiten geraten.
    Die Berliner bekamen auch eine Karte, von wegen der Kisten in Georgenhof, dafür könne nun niemand mehr garantieren. Warum sie die nicht schon längst abgeholt hätten?
    Auch an Eberhard wollte sie schreiben, Feldpostnummer sowieso. Sie setzte mehrmals an. Wie konnte sie es ihm beibringen, daß sie Georgenhof verlassen hatten? Und die Sache mit Katharina? Erst mal noch nicht abschicken die Karte, erst mal warten, wie sich die Sache entwickelt?
     
    Katharina saß in einer Zelle ganz für sich allein, wie in einem Wartezimmer. Sie hatte ihren schweren Mantel an und die weiße Pelzmütze auf dem Kopf. Die Füße hatte sie auf den Schemel gelegt, und sie drehte die Daumen. Ihrem Atemhauch sah sie nach, denn es war kalt.
    Hinter den grauen Scheiben des Zellenfensters war ein Stück grauer Himmel zu sehen. Sie hatte auch schon auf dem Schemelgestanden und aus dem Fenster geguckt, auf den Marktplatz, die Kirche dahinter und das alte Rathaus. Wenn sie Sarkander gesehen hätte, dann hätte sie gewinkt, aber Sarkander hätte sie nicht gesehen. Ob er es wußte, daß sie hier saß?
    Guckten denn nicht auch andere Gefangene aus dem Fenster, hoffte nicht jeder auf irgendwas?
     
    In ihrer Sache war nicht viel gesprochen worden. Der Beamte hatte ihr immer wieder den Zettel mit der Wegeskizze unter die Nase gehalten, und sie hatte genickt.
    «Tja», hatte der Beamte gesagt, «Frau von Globig, das ist schlimm.» Und: «Was haben Sie sich bloß dabei gedacht? – Und ausländische Sender haben Sie auch gehört?»
    Ob es zu blutschänderischem Verkehr gekommen sei bei dieser Gelegenheit, das fragte er nicht mehr. Dem war die ganze Sache unerquicklich, der dachte bereits an seine eigene Haut.
     
    Eberhard war im fernen Italien bereits wiederholt vernommen worden. Der Kommandeur hatte lange und ernst mit ihm geredet. Zunächst unter vier Augen, dann hatte sich der Führungsoffizier dazugesetzt. Heil Hitler.
    «Ihre Frau hat einem Juden Unterschlupf gewährt? Stimmt das?» Und: «Mit englischen Stahlaktien haben Sie den Feind unterstützt?» – Das wog schwer. Mit einer Degradierung würde wohl zu rechnen sein. Das Offiziersgehalt wäre dann futsch.
     
    Einen Juden versteckt in ihrem Zimmer?
    Eberhard rechnete nach und fand heraus, daß es jener Abend gewesen sein mußte, an dem er mit der kleinen Italienerin ein Glas Wein getrunken hatte.
    Nach dem Krieg, wenn alles ausgestanden war, dann mal wieder nach Italien fahren. Und Georgenhof? Das Gut wieder inSchuß bringen und Schwamm drüber. – Diese Judensache? Auch darüber würde Gras wachsen.
    Da war auch noch anderes, an das Eberhard dachte. Katharina? Daß sie sich weggebogen hatte von seinem Kuß, als sie Abschied nahmen, und er hatte sich dann auch weggebogen und sie angeguckt: Was das denn da für eine Frau ist, die sich nicht einmal einen Wangenkuß geben läßt zum Abschied?
    Das Hoftor reparieren, den Morgenstern richten. Ordnung ins Leben bringen, das würde vordringlich sein.

Die Alten
    A m nächsten Tag ging das Tantchen wieder auf die Polizei, Heil Hitler. Sie hat es bald satt! sagte sie zu Peter, und der freundliche Polizist hatte auch genug von ihr.
    «Es ist alles nicht so einfach.»
    Vielleicht käme Wladimir ja doch noch wieder zurück? Das war die Frage. Vielleicht lag irgendein Irrtum vor? Er hat es ja vielleicht nur gut gemeint?
    «In diesem Fall würde ich die Sache mit Stillschweigen übergehen», sagte das Tantchen. Jeder Mensch macht mal eine Dummheit.
    «Hörst du, mein Junge? Wir tun so, als wenn nichts gewesen wäre.»
    Die Verwünschungen, die man in die Gegend geschickt hatte, würde man freilich nicht zurückholen können.
    Tantes neuer Bekannter, der gehbehinderte Schlesier, stellte den Wallach, der immer sehr nach hinten guckte, wenn er kam, in der Feuerwache unter, die konnte man sogar abschließen! Er sagte den Leuten dort: «Das geht schon in Ordnung!» und schaffte sogar Stroh herbei.
    Der Mann hatte allerhand Beziehungen. Er würde vielleicht sogar ein Zimmer besorgen können für seine neuen Freunde. Aber das war gar nicht nötig, da hätte man ja gleich in Georgenhof bleiben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher