Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
kulturalisierten Märkte womöglich noch viel weniger anfangen. In ihren
Modellen geht sie vom Homo oeconomicus aus, der stets streng seinem Eigennutz folgt – und deshalb, beispielsweise, auf Kostenminimierung
Wert legt. Doch längst wird eine Ökonomie, die allen Ton auf die materielle Rationalität legt, dem realen Geschehen auf den
Konsummärkten nicht mehr gerecht. Der Kulturtheoretiker Nico Stehr hat jüngst in seinem Buch »Die Moralisierung der Märkte«
ausführlich beschrieben, welch entscheidende Rolle »nicht-ökonomische Werte«, »kulturelle Werte« in der »angeblich kulturfreien
Welt … der modernen Wirtschaftssysteme spielen«. 1 Die moralischen Erwägungen der Konsumenten müssten darum »auf der |10| gleichen Nützlichkeitsebene« lokalisiert werden wie rein materielle Erwägungen. 2
Soll heißen: Wenn ich zu einem Gut immer »etwas dazu« bekomme, dann ist das nicht bloß eine nebensächliche Zugabe, sondern
für meine Kaufentscheidung durchaus bedeutsam. In einer Welt, in der in weiten Segmenten die lebensnotwendige Basisausstattung
mit den Dingen des täglichen Bedarfs vorhanden ist (und in der selbstverständlich auch diese Basisgüter durch Bedeutung unterscheidbar
gehalten werden), bekommt der Konsument zu den Dingen immer auch etwas mitgeliefert: ein gutes Gefühl, gelegentlich auch ein
gutes Gewissen. In gewissem Sinn ist das Gut das Accessoire des symbolischen Mehrwerts.
Leicht einzusehen ist das beim Konsum ökologisch nachhaltiger oder fair gehandelter Güter. Wer ein Auto mit niedrigem Schadstoffausstoß
und geringem Treibstoffverbrauch erwirbt, der freut sich über den schicken Schlitten und zudem auch noch darüber, dass er
der Natur etwas Gutes getan hat. Wer eine Ware mit Fair-Trade-Zertifikat erwirbt, der darf sich als guter Kerl fühlen. Und
da es natürlich viel angenehmer ist, ein gutes Gewissen zu haben als ein schlechtes, können wir es logischerweise auch als
»nützlich« für den Konsumenten bezeichnen. Hin und wieder hat man den Eindruck, die politischen Aktivisten seien nicht mehr
wiederzuerkennen: Statt auf die Demo gehen sie einkaufen – nur dass sie eben die korrekten Güter kaufen. Buycott statt Boykott.
In einer Welt, in der wesentlich Bedeutung und gute Gefühle konsumiert werden, gerät vieles in Bewegung. Die Wellness-Industrie
hat ganze Produktpaletten von Gütern und Dienstleistungen im Angebot, deren einziger Zweck die Gefühlsökonomie zweiten Grades
ist – dass der Verbraucher das Gefühl hat, sich gut zu fühlen. Mineralwässer |11| etwa, die »Balance«, »Emotion« oder »Sensi bility « versprechen; Wohlfühl-Hotels, die den Mahagonifurnier-Charme von Kur- und Rehakliniken längst abgelegt haben. Oft wird nicht
einmal mehr der Inhalt eines Produkts beworben, »sondern die Stimmung, in die der Kunde beim Konsum versetzt wird« 3 . Traditionelle Medizin wird angeboten, sogar der Coca-Cola-Konzern brachte unlängst einen Wellness-Drink auf den Markt. »Gesundheit
und Wellness sind die hauptsächlichen Wachstumsgeneratoren der Soft-Drink-Industrie«, postuliert der
Economist
. 4 Diesem Veränderungsdruck unterliegt natürlich auch die Pharmaindustrie. Die Entwicklung teurer Medikamente, die möglicherweise
gegen echte, aber seltene Krankheiten helfen würden, ist längst weniger profitabel als Investment in den boomenden Wellness-Markt.
Wenn wir den zeitgenössischen Kapitalismus und die heutige Warenproduktion verstehen wollen, reicht es nicht mehr (wenn es
überhaupt jemals gereicht hat), die Prozesse von der Produktionsseite her zu analysieren. Wir müssen uns der Konsumtionsseite
zuwenden und uns ansehen, was diese »produziert« – wie sie auf unsere Lebenswelten einwirkt und wie sie auf die Produktionsseite
zurückwirkt. Monetär bewertete Güter sind offen für individuelle Gebrauchsweisen und können somit sogar einer ambivalenten
De-Kommodifizierung unterworfen werden. Sammler können Güter in Gaben und in Schätze verwandeln. Jedes Gebrauchsgut kann zum
Kultgegenstand werden. Deswegen habe ich dieses Buch »Das Kult-Buch« genannt – natürlich nicht ohne Augenzwinkern und Ironie
angesichts des doppelten Sinns dieses Titels.
Der Untertitel »Glanz und Elend der Kommerzkultur« mag manche schon mehr verstören. »Warum Glanz?«, fragt womöglich der gewohnheitsmäßige
Kapitalismuskritiker. |12| »Warum Elend?«, mag wiederum der glückliche Shopper grübeln. Nun, es ist ein
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