Susan Price
TOD EINES KÖNIGS
In der Mitte des Raums, wo das Licht der Kerzen und Lampen am hellsten erstrahlte, stand ein breites Bett, dessen Pfosten mit geschnitzten Drachen und ineinander verschlungenen Greiftieren verziert waren. Im Bett, von Kissen gestützt und unter einer mit glitzernden Goldfäden bestickten Decke, lag der sterbende König. Sein Atem ging schwer und langsam, als laste ein schweres Gewicht auf seiner Brust, welches die Rippen bei jedem Atemzug stemmen mussten.
Um das Bett herum war die Königssippe versammelt, die führenden Mitglieder der Zwölfhundert. Ihre Schatten zeichneten sich lang und verzerrt auf Wänden und Decke ab.
An der einen Seite des Betts stand Athelric, allein, der einzige überlebende Bruder des Königs. Die starken Schatten ließen das kantige Kinn und die Falten in seinem Gesicht noch schärfer erscheinen, als sie waren. Obgleich schon in die Jahre gekommen, war er bei Tageslicht immer noch ein gut aussehender Mann; sein helles Haar und der helle Bart waren eher verblasst als ergraut. Wie der Dichter sagt: Erreicht ein Mann die vierzig, verändert der Klang jedes eingeschlagenen Sargnagels sein Gesicht. Athelric war über vierzig, doch wenn sich die Ältesten des Rates versammelten, um den nächsten König aus der Königssippe zu wählen, würde die Wahl auf ihn fallen. Das war so gut wie sicher. Immer noch war er ein starker, kraftvoller Mann, der sich im Kampf und im Rat bewährt hatte. Auch die Tatsache, dass er als Bruder des gegenwärtigen Königs bis zum heutigen Tag überlebt hatte, sprach für sein politisches Geschick. Könige wurden leicht nervös und eifersüchtig, und weniger talentierte Brüder als Athelric starben häufig jung. Seine starke Ähnlichkeit mit dem sterbenden König würde bei den sentimentaleren Mitgliedern des Rates gleichfalls zu seinen Gunsten sprechen – ebenso wie die Tatsache, dass er nach dem Tode seines Bruders der einzige Heide in der Königssippe sein würde. Unter den Ratsältesten gab es nicht viele, die dem neuen Christus-Glauben folgten.
Auf der anderen Bettseite hatten sich die Christus-Anhänger versammelt – die Athelinge, ihre Mutter, die Königin, und der Christus-Priester aus fernen Landen, Vater Fillan.
Königin Ealdfrith saß auf ihrem vergoldeten Sessel mit so viel Würde, wie man von einer edlen Frau, die schon so lange tot war, erwarten konnte. Im Kerzenschein schimmerten ihre Gewänder aus golddurchwirktem Stoff, und auf den schwarz gewordenen knochigen Fingern glänzten Juwelen. Ihr immer noch volles Haar war unter einem leinenen Kopfputz zusammengebunden, der durch einen juwelenbesetzten Stirnreif gehalten wurde. Unter dem weißen Linnen war ihr Gesicht schwarz und runzlig geworden, und sie bleckte gegen ihren Gemahl und die Söhne die Zähne. Von ihr ging ein starker Geruch aus, welchen Vater Fillan den Duft der Heiligkeit nannte, doch für nicht so Gläubige oder gar Heiden stank es wie Verwesung.
Zu Lebzeiten war Königin Ealdfrith für ihre Güte und Gelehrsamkeit berühmt gewesen. Als sie von dem Christus-Glauben gehört hatte, sandte sie Boten in die fremden Königreiche im Norden und bat, man möge einen Priester schicken, der sie mehr darüber lehre. Vater Fillan war zu ihr gekommen, und seine Lehre hatte sie mit Eifer für Christus erfüllt. Etliche – darunter auch Athelric – hegten allerdings den Verdacht, dass ihre Begeisterung mehr mit Vater Fillans glatt rasiertem Gesicht und seinen dunklen Augen als mit seinen Predigten zu tun hatte. Doch musste man mit derartigen Bemerkungen von Heiden – und Männern – rechnen. Aber wie dem auch sei, es hatte schließlich dazu geführt, dass Ealdfrith den alten Göttern abgeschworen und ihr Leben der Buße dafür gewidmet hatte, dass sie ihnen je Opfer dargebracht hatte, und noch weitere Buße für die Sünden ihrer unbekehrten Landsleute. Von dem Tag an, als Fillan sie taufte, nahm sie nie mehr als eine Mahlzeit am Tag zu sich, und diese bestand aus Brot und Wasser. Sommers wie winters trug sie nur ein Gewand aus rauer Wolle, und ihre Gemächer wurden nie von einem Feuer erwärmt oder nach Einbruch der Dunkelheit von Kerzen erhellt. Vater Fillan zufolge war sie eine Heilige. Nur eine Heilige konnte die Kraft haben, so fromm, so gläubig zu leben. Doch vielleicht machte gerade das Übermaß ihrer Frömmigkeit es anderen so schwer, ihrem Beispiel zu folgen. Kälte, Hunger und Dunkelheit mochten für die Königssippe ganz neue Erfahrungen sein, doch für die meisten
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