Cool
KEN FOLLETT & »René L. Maurice«
Der Bankraub von Nizza
Originaltitel: Under The Streets of Nice
PROLOG
Ein monumentaler Coup«
Schlagzeile im >Nice Matin< am 21. Juli 1976
Es verspricht, wieder einmal ein sehr heißer Tag zu werden.
Die Sonne geht um acht Minuten nach sechs auf, und bereits wenig später beginnt Nizza in der flirrenden Hitze zu dampfen. Touristen sitzen auf schattigen Balkonen beim petit déjeuner, Autofahrer öffnen ihre Cabrios, Kellner lassen die Markisen der zahlreichen Straßencafes herunter. Einige Frühaufsteher haben bereits ihre Badematten auf dem steinigen Strand ausgebreitet. Gutgebaute, braungebrannte Mädchen legen die Oberteile ihrer Bikinis ab und zeigen ihre wohlproportionierten Brüste. Die Einheimischen sehen mit unverhohlener Lust zu, während die Touristen so tun, als sei dieser Anblick für sie das Selbstverständlichste der Welt.
Der Verkehr auf der sechsspurigen Promenade des Anglais scheint jede Minute um einige Fahrzeuge zuzunehmen und beginnt, die warme Mittelmeerluft zu verpesten. Es wird wieder ein heißer Tag - für die Urlauber, die Autofahrer, die Kellner, und diesmal auch ein besonders heißer Tag für Pierre Bigou. Das Thermometer zeigt bereits jetzt fast dreißig Grad Celsius an.
Bigou ist Leiter in der Hauptstelle der Bank «Société Generale« an der Avenue Jean-Médecin Nummer 8 in Nizza. Für ihn, den Bankbeamten, hat dieser 19. Juli 1976 begonnen wie jeder Montagmorgen in seinem bisherigen Leben.
In der hohen Schalterhalle des altehrwürdigen Geldinstituts ist es angenehm kühl und ruhig. Hemdsärmelige Kassierer und Schalterangestellte bereiten sich auf das Tagesgeschäft vor. Um halb neun soll geöffnet werden.
Zeitvergleich. Bigou blickt kurz auf die große Wanduhr und ist zufrieden: zwei Minuten vor halb neun. Er geht langsam in sein Büro, läßt die Tür offen und vertieft sich in die Morgenzeitung. Jahrelang arbeitet er nun schon in dieser Bank, hat es zum leitenden Angestellten gebracht; es gibt niemanden, der ihm das Zeitunglesen während der Arbeit verbieten kann.
Van Impe hat die 63. Tour de France gewonnen. Das amerikanische Raumschiff Viking I ist unterwegs zum Mars. Der Wetterbericht kündigt einen warmen Sommertag an. Na, also!
Heute ist der Tag des Heiligen Arsène. Ein katholischer Heiliger, der nichts mit jenem legendären Arsène Lupin zu tun hat, dem französischen Robin Hood, dem Schutzpatron der Taschendiebe.
Es ist genau halb neun. Zwei Bankangestellte schlendern an Bigous Tür vorbei, zur Treppe, die in das Untergeschoß zum Tresorraum führt. Jeden Morgen die gleiche Routine: Jeweils zwei Angestellte müssen den Tresor öffnen. Die Schalterbeamten der unteren Gehaltsstufen wechseln sich dabei gegenseitig ab. Diese Woche sind die beiden dran. Die großen Schlüssel, die sie in der Hand halten, tragen die Initialen FB. Es ist das Firmenzeichen von »Fichet-Bauche«, Frankreichs größtem Safe- und Schloß-Hersteller.
Die beiden Stahlgitter am Fuß der Treppe gleiten sanft, beinahe geräuschlos, in die dicken Betonwände. So weit, so gut.
Die Stahltür dahinter, die den Weg zum Tresor versperrt, hat es allerdings in sich: Sie ist fünfzig Jahre alt, einen Meter dick und zwanzig Tonnen schwer. Selbst Laser-Strahlen, so erzählt man sich, können diesem Monstrum nichts anhaben.
Zahlreiche Diskussionen hat es im Lauf der letzten Jahre zwischen der Bank und der Versicherungsgesellschaft, Lloyds of London, gegeben. Dabei ist es um eine moderne Alarmanlage für das Geldinstitut gegangen. Doch beide Parteien sind schließlich zu dem Schluß gekommen, daß diese mächtige Stahltür mit absoluter Sicherheit nicht zu knacken sei, und haben schließlich auf die teure Neuanschaffung von versteckten Kameras, Fotozellen und Sirenen verzichtet.
Allerdings hat es einen Kunden gegeben, der sich über die fehlende Alarmanlage beschwert hat. Aber es ist nur ein pensionierter Polizist, von dem man annimmt, er lese zu viele schlechte Krimis. Niemand nimmt diesen alten Herrn wirklich ernst.
Es ist genau acht Uhr vierunddreißig, als die beiden Angestellten ihre zwei Schlüssel gleichzeitig in die mächtige Tür stecken. Der Mechanismus besteht aus solider, alter Handarbeit: Zwei Paar Stahlbolzen, die die Tür mit der Mauer verbinden: Stecken die Schlüssel, dann können die Männer die Bolzen aus der Wand ziehen, indem sie drei große Räder an der Tür drehen. Für die Horizontal-Bolzen eine Vierteldrehung
Weitere Kostenlose Bücher