Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
pompösen Marketing-Neusprech an seine Leute zu wenden,
schrieb besagter Vorstandschef Sätze auf, die bei den Mitarbeitern für nichts als Kopfschütteln sorgten. Die meisten verstanden
nicht einmal, was der Typ von ihnen will. Sie begriffen nur, dass sie sich verändern sollen.
|26| Um es deutlich zu sagen: Die Predigten, die die »Mar ken-Evangelisten « in Richtung der Belegschaft halten, erinnern halb an Gehirnwäschetechniken, wie man sie aus dem Sektenwesen kennt, halb
an die kuriosen Parolen, wie sie im Sozialismus alltäglich waren (»Mit Freude und Solidarität den Plan übererfüllen«). Man
fügt endlos mäandernde Abfolgen modischer Vokabeln aneinander, und es ist unerheblich, was die Satzungetüme bedeuten, solange
sie nur modern klingen. Das wirkt alles skurril – und ist es zweifelsfrei auch –, verweist aber darauf, dass Branding eine
komplizierte, ja gefährliche Sache ist. Erfolgreiche Brands sind in der Regel mächtig und wertvoll, doch zugleich sehr verletzlich.
Verschlafen sie Veränderungen, sind sie uncool und bald out. Und wer gegen die »Kultur« des Unternehmens, die »Brand Values«
handelt, gefährdet dessen Erfolg, dessen Wert. Denn wenn nicht so sehr das Anlagevermögen zählt, also der materielle Besitz
des Unternehmens nicht wesentlich zu Buche schlägt, sondern vor allem das »Markenimage«, dann gibt es natürlich nur eines,
worauf es seinen Erfolg bauen kann: auf seine Reputation; auf Vertrauen. Darauf, dass die Menschen das haben wollen, was es
repräsentiert. Im Extremfall »besitzt« ein Unternehmen nicht viel mehr als das Patent auf eine Getränkeformel (wie Coke) oder
ein Markenlogo (wie Nike) und das intellektuelle Kapital seiner Mitarbeiter (wie die meisten Medienunternehmen) – sowie natürlich
die akkumulierten und institutionalisierten Erfahrungen, die garantieren, dass die Marketing-Maschinerie gut geölt funktioniert.
Der hauptsächliche »Besitz« der Firmen besteht somit aus imaginären Werten, zu deren Kernbestand das »Image« zählt, und wird
dieses beschädigt, kann der reale Wert des Unternehmens schnell ins Bodenlose fallen.
Ist aber das Markenprodukt als Kulturware erfolgreich positioniert, die Marke als Kulturgut gefestigt, dann ist |27| dieser Wert auch auf andere Produkte übertragbar. Deshalb auch der Trend zu dem, was Marketingexperten »Brand Extension« nennen,
der Verbindung des Markenwerts mit anderen Gütern, die dadurch ihrerseits wertvoll werden. Aus diesem Grund produzieren Zigarettenfirmen
plötzlich Schuhe oder Kleidermode, Autofirmen Sonnenbrillen oder ähnliches – deshalb also Marlboro-Kleidung, Camel-Schuhwerk,
Porsche-Uhren. Das, was die Zigarettenmarke Marlboro repräsentiert, repräsentiert dann auch die Hose mit dem Marlboro-Logo:
Natürlichkeit, Coolness, Wildheit. Und der Camel-Schuh wird wohl eher nicht von Leuten getragen, die sich gerne als sensible
Typen sehen, sondern in der Regel von solchen, die lieber harte Kerle wären. Die Produkte ordnen sich der Identität der Marke,
der »Markenpersönlichkeit« unter. Deswegen wären auch Marlboro-Softdrinks oder Camel-Tampons eher unvorstellbar.
Für die Marke gilt, was Walter Benjamin für das Kunstwerk formulierte – was sie stark macht, ist ihre Aura. Freilich wird
Benjamins These von der Markenaura auch ad absurdum geführt. Denn die Aura – die Benjamin auf die Einzigartigkeit des Kunstgegenstandes
zurückführte – entsteht heute, wie Klaus Theweleit trefflich darlegte, »be sonders dann, wenn es diesen Gegenstand millionenhaft gibt. Je mehr ›copies sold‹, desto größer die Aura«. Nur gibt es heute für
Aura ein anderes Wort, und zwar »Kult«. 20
Im Kapitalismus, der weitgehend vom Konsum am Laufen gehalten wird – »Consumer Capitalism« nennt die angloamerikanische Soziologie
jene bisher höchste Phase dieser Gesellschaftsordnung auch gerne –, geht es also darum, Waren in den Rang eines Fetischs zu
erheben. »Eine Marke ist durchgesetzt dann und nur dann, wenn sie den Charakter eines Fetischs angenommen hat« 21 , also, wenn |28| sie ein eigentümliches Eigenleben entwickelt, die Sehnsüchte der Konsumenten mobilisiert, ihre Träume kolonisiert. Nie war
die berühmte Wendung Karl Marx’ aus dem ersten Kapitel des »Kapital« so wahr wie heute: »Eine Ware scheint auf den ersten
Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll
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