Alles was ich sage ist wahr
oder drogenabhängig und gewalttätig werden.
So was eben.
Nachdem ich mir einige Suchergebnisse durchgelesen hatte, hatte ich ein bisschen das Gefühl, dass die Jugendlichen, von denen die Experten redeten, eher so eine Art hoch entwickelter Haustiere waren als Menschen aus Fleisch und Blut. »Füttern Sie Ihren Jugendlichen regelmäßig und achten Sie auf seine Hygiene. In der Regel braucht ein Jugendlicher 3 bis 4 Schalen Nahrung pro Tag, aber der Bedarf weicht individuell ab und kann von Jugendlichem zu Jugendlichem variieren. Versuchen Sie, mit Ihrem Jugendlichen zu kommunizieren, und fragen Sie zwischendurch nach, ob er hungrig ist. Und vergessen Sie nicht, den Käfig mindestens einmal pro Woche zu reinigen!«
Das stand da natürlich nicht, aber gewundert hätte es mich nicht.
Jedenfalls funktionierte es ganz gut, diese Schlafbedarfsargumente anzubringen, wenn am Samstagmorgen der Rasenmäher vor meinem Fenster ansprang. Eine Weile. Das war eine schöne Phase in meinem Leben. Inzwischen sind meine Eltern abgehärtet. »Jetzt fang nicht wieder damit an. Du hast genug geschlafen.« Damit schaltet der Rasenmäher noch einen Gang höher und fährt weiter auf meinen Nerven herum.
Ich nehme an, dass es sich deshalb regelrecht revolutionär anfühlt, an einem normalen Wochentag freizuhaben, während Mama und Papa bei der Arbeit sind. Also, rein schlafmäßig. Um acht Uhr knallt die Tür hinter ihnen zu und es wird still. Stellt euch das vor! TOTALE STILLE! Es kommen nicht mal Kontrollanrufe, wie es mir geht, wie sonst, wenn ich krank bin. Sie sind einfach weg. Das ist so fantastisch, dass ich die ersten Tage nichts anderes zustande bringe, als über die Angelegenheit zu schlafen, wie Oma es mir vorgeschlagen hat. Ich schlafe ununterbrochen, verschlafe mein Leben, wie es so schön heißt, und finde es wunderbar. Zwischendurch werde ich wach, schaue auf die Uhr und denke, aha, 11.17 Uhr, jetzt haben die anderen Chemie in der Schule. Haha! Und damit schlafe ich wieder ein.
Das ist fantastisch.
Zumindest, bis gegen vier Uhr die Tür wieder aufgeht und der allgemeine Wahnsinn in die Wohnung schwappt.
* * *
»Was machst du eigentlich den ganzen Tag?«, fragt Papa mit greller Stimme, als er an einem dieser Schlaftage nach Hause kommt. Ich sehe, wie er sich anstrengt, ruhig zu bleiben, weil seine Kiefermuskeln viel mehr arbeiten als normal.
»Nichts Besonderes«, sage ich. »Ich habe mir ein bisschen Gedanken über den Aktionsplan gemacht.«
Das ist keine direkte Lüge. Ich habe wirklich ein bisschen über den Aktionsplan nachgedacht. Zum Beispiel habe ich darüber nachgedacht, dass jetzt schon fünf Tage der von Sara eingeräumten Woche vorbei sind und dass ich noch nicht einmal ansatzweise die Idee eines konkreten Plans habe. Und dann habe ich gedacht, dass mich das schon etwas stresst. Nicht so sehr wegen des Aktionsplans an sich, sondern wegen Papas strengen Blicken. Am meisten mache ich mir Sorgen, dass es wie in Twin Peaks endet, dass Papa eines Morgens aufwacht und über Nacht weiße Haare gekriegt hat. Außerdem macht es mich ziemlich nervös, dass Papa in letzter Zeit so viel rumbrüllt. Diese Brüllerei geht einem ganz schön an die Nerven.
»So war das nicht gedacht, dass du dir hier einen lauen Lenz machst, falls du das glaubst!«, schreit er. »Du hast in den letzten Tagen nichts auf die Reihe gekriegt, außer durch die Gegend zu schlurfen und uns die Haare vom Kopf zu fressen.«
Das stimmt nun wirklich nicht.
Nur die Milch ist alle und ich schlurfe aus Prinzip nicht durch die Gegend. So was machen nur nach Schweiß stinkende Schluffies. Nach Schweiß stinkende Schluffies und Psychopathen. Und das letzte Mal, als ich mich im Spiegel angeguckt habe, war ich weder das eine noch das andere.
Wie auch immer, Papas Rumgestresse stört mich massiv. Und dann der Gedanke an die Gemeinde, die eingeschaltet werden soll. Ich muss irgendwie versuchen, die Situation einigermaßen in den Griff zu kriegen, ehe es zu spät ist.
* * *
Am nächsten Morgen nach dem Aufwachen lackier ich mir die Nägel knallrot und ziehe meine auffälligste Klamotte an. Danach gehe ich in die Stadt und besorge mir einen Job. Das ist echt einfacher, als ich dachte.
Ich steuere das einzige Café in der Stadt an, das zu meiner Persönlichkeit passt, marschiere direkt zum Tresen und sage: »Ich möchte hier jobben.«
Hinter dem Tresen steht ein Mann mit einer Kaffeekanne in der Hand. Er hat graues Haar, einen Schnurrbart, trägt eine
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