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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Spaziergang auf der Clifford Avenue erkrankt, und zwei Tage später starb er, das Gesicht wächsern, glühend vor Fieber, unfähig zu atmen. Danach zogen sie zu ihren Großeltern, die in der Irondequoit Bay ein kleines Hotel führten, ein Holzhaus mit einer gemütlichen Bar, einer großen weißen Küche und leeren Zimmern im Winter. Mit zwanzig ging sie dann nach New York. Sie hatte dort entfernte Verwandte, die Gradows, Cousins ihrer Mutter, die recht wohlhabend waren und die sie einige Male in ihrem Haus besuchte.
    Eines der halb vergessenen Bilder aus Bowmans Kindheit war diese Villa – mit fünf oder sechs Jahren hatte sie ihn einmal mitgenommen –, ein großes, prunkvolles Gebäude aus grauem Granit mit einer Art Graben darum, soweit er sich erinnerte, und vergitterten Fenstern, irgendwo in der Nähe des Parks, aber unauffindbar wie manch andere Straße in jener vertrauten Stadt, die oft in Träumen auftaucht. Er hatte seine Mutter nie danach gefragt, oder ob es abgerissen worden war, aber es gab ein paar Stellen entlang der Fifth Avenue, wo es hätte gewesen sein können.
    Beatrice hatte, vielleicht wegen des Todes ihres Vaters, der ihr klar in Erinnerung blieb, schon immer eine schleichende Furcht vor dem Herbst. Es gab einen Moment, meistens spät im August, wenn der Sommer mit gleißender Kraft auf die Bäume traf, Bäume in vollem Laub, und dann kam ein Tag, merkwürdig still, wie in Erwartung, sich des Moments bewusst. Und sie wussten Bescheid, alle wussten Bescheid, die Käfer, die Frösche, die Krähen, die feierlich über den Rasen schritten. Die Sonne stand im Zenit und umarmte die Welt, aber es ging zu Ende, alles, was man liebte, war in Gefahr.
    Neil Eddins, der zweite Lektor, kam aus dem Süden. Er hatte weiche Züge und gute Manieren, ein Mann, der gestreifte Hemden trug und leicht Freunde fand.
    »Du warst in der Navy«, sagte er.
    »Ja, du auch?«
    »Sie wollten mich nicht. Ich bin dann zur Handelsmarine.«
    »Und wo?«
    »Die meiste Zeit am East River. Die Mannschaft war italienisch. Die brachte man nicht dazu, in See zu stechen.«
    »Keine Gefahr, versenkt zu werden.«
    »Zumindest nicht vom Feind«, sagte Eddins. »Wurdet ihr mal versenkt?«
    »Ein paar haben das zumindest geglaubt.«
    »Und was heißt das?«
    »Das ist eine lange Geschichte.«
    Während sie sich unterhielten, kam Gretchen, die Verlagssekretärin, vorbei. Sie hatte eine gute Figur und ein attraktives Gesicht mit drei oder vier großen, entzündeten Pickeln, einer nicht genauer benennbaren Hautirritation auf Wangen und Stirn, die sie unglücklich machte, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ. Eddins stieß einen leisen Seufzer aus, als sie vorbeigegangen war.
    »Meinst du Gretchen?«
    Man wusste, sie hatte einen Freund.
    »Oh mein Gott«, sagte Eddins. »Vergiss die Akne, oder was das auch ist, das geht schon wieder weg. Im Ernst. Ich mag Frauen, die ein bisschen wie Boxer aussehen, hohe Wangenknochen, etwas dickere Lippen. Kürzlich hatte ich einen Traum, ich kann dir sagen. Drei süße Mädchen, eine nach der anderen, wir waren in einem kleinen Zimmer, fast wie in einer Pferdebox, und ich war gerade mit der vierten zugange, als jemand versuchte reinzukommen. Nein, nein, verdammt, jetzt nicht!, brüllte ich. Die vierte stand mit dem Hintern an mich gedrückt und bückte sich gerade, um sich die Schuhe auszuziehen. Bin ich zu widerlich?«
    »Nein, es geht.«
    »Hast du auch solche Träume?«
    »Ich träume meistens nur von einer«, sagte Bowman.
    »Irgendjemand Bestimmtes?«, sagte Eddins. »Weißt du, was wirklich wichtig ist? Die Stimme. Wenn ich mal heirate, ist das das Erste, was ich ihr sagen werde, dass sie mit einer sanften Stimme sprechen soll.«
    Gretchen kam wieder an ihnen vorbei, diesmal aus der anderen Richtung. Sie lächelte leicht.
    »Jesus«, sagte Eddins. »Die wissen wirklich, was sie tun. Die lieben das.«
    Nach der Arbeit gingen sie manchmal ins Clarke’s auf einen Drink. Die Third Avenue war eine Straße der Trinker und kleinen Bars im Schatten der Hochbahn und ihres Lärms, wenn sie hoch oben zwischen den Mietshäusern entlangrumpelte, bis das Tageslicht wieder durch die Gleise fiel, wenn sie vorüber war.
    Sie sprachen über Bücher und Literatur. Eddins war nur ein Jahr aufs College gegangen, hatte aber alles gelesen. Er war Mitglied der Joyce Society und Joyce war sein Held.
    »Normalerweise mag ich es nicht, wenn Schriftsteller zu viel über die Gedanken und Gefühle ihrer Charaktere

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