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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Art. Sein Büro war spärlich möbliert, ein Schreibtisch, eine alte Couch, ein Tisch und ein paar Stühle. Er las alle Manuskripte selbst, und nach der einen oder anderen Absprache mit seiner Frau traf er alle Entscheidungen. Er ging mit Agenten essen, die ihn lange nicht allzu ernst nahmen, traf sich zum Dinner, und im Verlag hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, täglich durch das Büro zu gehen und mit jedem einzeln zu sprechen. Er setzte sich auf die Ecken ihrer Schreibtische, plauderte ein wenig, was hielten sie von diesem oder jenem, was hatten sie gelesen oder gehört? Er hatte eine offene Art, es war leicht, sich mit ihm zu unterhalten. Manchmal schien er mehr wie der Postjunge als der Verleger, und häufig hatte er selber etwas zu erzählen, Geschichten, die er gehört hatte, irgendwelche Neuigkeiten, und dann das gespielte Entsetzen angesichts horrender Vorschüsse – wie konnte man erwarten, gute Bücher zu veröffentlichen, wenn man schon vorher daran pleiteging? Er schien nie in Eile, auch wenn die Besuche nie sehr lang waren. Er erzählte Witze, die er gehört hatte, und nannte jeden beim Vornamen, sogar den Fahrstuhlführer Raymont.
    Bowman arbeitete nicht lange als Gutachter. Der Lektor, der Vater geworden war, wechselte zu Scribner’s, und Bowman, der sich schlaugemacht hatte, wie hoch sein Gehalt gewesen war, übernahm im Verlag seinen Platz. Ihm gefiel die Arbeit. Sein Büro war wie eine eigene Welt. Es gab keine festen Zeiten, manchmal war er bis neun oder zehn Uhr abends im Büro, dann wieder ging er um sechs auf einen Drink. Es gefiel ihm, Manuskripte zu lesen und mit den Autoren zu reden, dafür verantwortlich zu sein, ein Buch in die Welt zu heben, die Diskussionen, das Lektorat, die Fahnen, die Korrekturseiten, der Umschlag. Er hatte keine klare Vorstellung gehabt, als er damit anfing, aber es erfüllte ihn.
    Er mochte es, am Wochenende nach Hause zu fahren, mit seiner Mutter zu Abend zu essen – wollen wir zuerst einen Cocktail nehmen?, fragte sie ihn immer –, ihr zu erzählen, was er so tat. Sie war in dem Jahr zweiundfünfzig geworden, sie war nicht im mindesten gealtert, und doch jenseits der Überlegung, noch einmal zu heiraten. Ihre Liebe und Aufmerksamkeit galten ihrer Familie. Während der Woche wohnte Bowman in einem kleinen Zimmer ohne Bad in einer Seitenstraße der Central Park West, das nichts gemein hatte mit seinem vergleichsweise luxuriösen alten Zuhause.
    Seine Mutter redete so gerne mit ihm, sie hätte jeden Tag mit ihm reden können. Nur mit Mühe konnte sie sich zurückhalten, ihn zu küssen und an sich zu drücken. Vom Tag seiner Geburt an hatte sie sich um ihn gekümmert, und jetzt, da er am schönsten war, durfte sie ihm nur das Haar glattstreichen. Und auch das konnte merkwürdig sein. Die Liebe, die sie ihm gegeben hatte, würde jemand anderem gehören. Und doch war er immer noch das wunderbare Kind wie in all den Jahren, als es nur sie beide gab, als sie Dot und Frank besuchten und im Restaurant zu Abend aßen. Und niemals würde sie die gutgekleidete Dame vergessen, die ihn dort als kleinen Jungen sah, eine viel zu große Gabel in der Hand, mit der er versuchte, Spaghetti aufzuheben, und bewundernd sagte:
    »Das ist das schönste Kind, das ich je gesehen habe.«
    Und dann die kleinen Bilderbücher aus gefaltetem Papier, die im Knick zusammengenäht waren, die ersten Wörter, die sie gemeinsam schrieben, die vielen Nächte, die ihr jetzt wie eine einzige Nacht erschienen, als sie ihn ins Bett brachte, und dann seine bittende Stimme: »Lass die Tür offen.«
    All die Tage, alles daran.
    Sie erinnerte sich an seinen ersten Flaum, ein leichter, weicher Flaum auf seinen Wangen, und sie tat, als würde sie ihn nicht sehen, und dann fing er an sich zu rasieren, sein Haar wurde allmählich dunkler, und seine Züge schienen denen seines Vaters zu ähneln. Wenn sie zurückblickte, konnte sie sich an alles erinnern, jede Einzelheit, meistens glücklich, nein, immer glücklich. Sie waren sich sehr nahe, Mutter und Sohn, schon immer.
    Beatrice wurde als jüngere von zwei Schwestern im letzten Monat und Jahr des Jahrhunderts,1899 , in Rochester geboren. Ihr Vater war Lehrer gewesen, er starb an der Grippe, der sogenannten Spanischen Grippe, die zuerst in Spanien grassierte und dann1918 , genau bei Kriegsende, in Amerika ausbrach. Mehr als eine halbe Million Menschen starben, Bilder, die an die Pest erinnerten. Ihr Vater war an einem milden Nachmittag bei einem

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