Alles, was ist: Roman (German Edition)
sein wollte, redete mit beiden.
»Wohnt ihr hier in der Gegend?«, sagte er.
Louise antwortete. Sie wohne auf der dreiundfünfzigsten Straße. Vivian in Virginia.
»Virginia?«, sagte Bowman unbeholfen, als läge es in China.
»Ich lebe in Washington«, sagte Vivian.
Er konnte die Augen nicht von ihr nehmen. Ihr Gesicht sah aus, als wäre es nicht ganz fertig, mit schwelenden Zügen, einem Mund, der nicht gleich lächeln wollte, ein erschütterndes Gesicht, das Gott als einfache Antwort auf das Leben geschaffen hatte. Im Profil war sie sogar noch schöner.
Als sie ihn fragten, was er arbeite – der Lärm war ein wenig gewichen –, antwortete er, er sei Lektor.
»Lektor?«
»Ja.«
»Für ein Magazin?«
»In einem Verlag«, sagte er. »Ich arbeite bei Braden und Baum.«
Sie hatten noch nie davon gehört.
»Ich wollte eigentlich ins Clarke’s«, sagte er. »Aber dann war hier so viel los, da dachte ich, ich schau mal rein. Ich muss aber zurück zur Arbeit. Was … was macht ihr später?«
Sie wollten ins Kino.
»Willst du mitkommen?«, sagte Louise.
Mit einem Mal mochte, ja, liebte er sie.
»Ich kann nicht. Wollen wir uns später treffen? Hier?«
»Um wie viel Uhr?«
»Nach der Arbeit. Wann ihr wollt.«
Sie verabredeten sich um sechs.
Den ganzen Nachmittag war er unruhig, es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Die Zeit verging unendlich langsam, und dann, um Viertel vor sechs, machte er sich halb rennend auf den Weg. Er war ein paar Minuten zu früh, sie waren nicht da. Er wartete ungeduldig bis Viertel nach sechs, dann bis halb sieben. Sie kamen nicht. Mit einem leisen Gefühl von Übelkeit wurde ihm klar, was er getan hatte – er hatte sie gehen lassen, ohne sie nach einer Nummer oder Adresse zu fragen. Die dreiundfünfzigste Straße, das war alles, was er wusste, und er würde sie, er würde keine von beiden, aber vor allem sie, niemals wiedersehen. Er hasste sich und seine Unfähigkeit und blieb noch fast eine Stunde, zum Ende fing er eine Unterhaltung mit dem Mann neben sich an, damit er nicht wie ein Idiot dastand, falls sie doch noch kamen.
Was, fragte er sich, hatten ihn verraten, dass sie nicht zurückgekommen waren? Hatte ein anderer sie angesprochen, nachdem er gegangen war? Er fühlte sich elend. Er spürte die schreckliche Einsamkeit von Männern, die alles verloren hatten, die zusahen, wie alles an einem Tag zusammenbrach.
Am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit quälte er sich noch immer. Er konnte mit Eddins nicht darüber reden. Es steckte in ihm wie ein Splitter, sein Versagen. Gretchen saß an ihrem Tisch. Eddins roch etwas verdächtig nach Puder oder Cologne. Bowman las schweigend, als Baum ins Zimmer kam.
»Wie geht es dir heute Morgen?«, sagte Baum entspannt, der übliche Auftakt, wenn er nichts Besonderes zu sagen hatte.
Sie redeten eine Weile und wollten gerade abschließen, als Gretchen zur Tür hereinkam.
»Da ist jemand für dich am Telefon.«
Bowman nahm den Hörer ab und sagte kurz angebunden:
»Hallo.«
Es war sie. Und einen Moment war da nur dieses Glück. Sie entschuldigte sich. Sie waren am Abend zuvor um sechs zurückgekehrt, hatten aber die Bar nicht finden können.
»Ja, natürlich«, sagte Bowman. »Das tut mir leid, aber es ist schon in Ordnung.«
»Wir waren sogar im Clarke’s«, sagte sie. »Ich hab mich erinnert, dass du davon gesprochen hast.«
»Ich bin so froh, dass du anrufst.«
»Ich wollte nur, dass du weißt, dass wir kommen wollten.«
»Nein, nein, ist schon in Ordnung, wirklich. Hör mal, gib mir doch einfach deine Adresse.«
»In Washington?«
»Ja. Wo auch immer.«
Sie gab sie ihm und auch die von Louise. Sie fahre noch am Nachmittag zurück, sagte sie.
»Wie wäre es … ich meine, um wie viel Uhr geht dein Zug? Hast du noch Zeit zum Essen?«
Nicht wirklich. Der Zug ging um eins.
»Schade. Vielleicht ein andermal«, sagte er unbeholfen.
»Also, auf Wiedersehen«, sagte sie nach einer Pause.
»Ja. Auf Wiedersehen«, stimmte er ihr irgendwie zu.
Aber er hatte ihre Adresse, er betrachtete sie, als er aufgelegt hatte. Sie war kostbarer, als Worte ausdrücken konnten. Ihren Nachnamen kannte er nicht.
In der Penn Station, unter dem hohen Gewölbe und dem Licht, das in großen Streifen durch das Glasdach fiel, bahnte sich Bowman seinen Weg. Er war nervös, dann sah er sie, nichtsahnend stand sie da.
»Vivian!«
Sie drehte sich um und sah ihn.
»Ach, du bist es. Was für eine Überraschung. Was machst du
Weitere Kostenlose Bücher