Alles, was ist: Roman (German Edition)
Stimmungsschwankungen. Er hatte Wutausbrüche, dann bat er sie flehend um Verzeihung. Es hatte sie emotional völlig ausgelaugt. Sie war ein katholisches Mädchen aus Queens, eine intelligente Schülerin gewesen, in ihrer Jugend schüchtern, und doch hatte sie die Haltung eines Menschen, der unabhängig von der Meinung anderer seinen Weg geht. Die Belastung durch ihre Beziehung zu dem Arzt war der Grund, warum sie ihre Stelle als Baums Assistentin aufgegeben hatte. Sie erklärte es nicht weiter. Sie sagte nur, die Arbeit wäre zurzeit mehr, als sie bewältigen könnte, und Baum kannte sie gut genug, um es hinzunehmen, ebenso wie die Tatsache, dass sie offenbar ein kompliziertes Leben führte.
Bowman wusste nichts von alldem. Er fühlte sich nur auf merkwürdige Weise mit ihr verbunden, wahrscheinlich wegen des emotionalen Moments oder einer gewissen Anmut, die er an ihr vorher nicht bemerkt hatte. Es war besser, dass er sie nicht nach Hause begleitet oder auch nur gesehen hatte, wie sie das Gebäude verließ. Der Schnee trieb herab, man rief nach ihm.
30. Eine Hochzeit
An einem Sonntagnachmittag im Sommer 1984 heiratete Anet Evan Anders, den Sohn eines New Yorker Anwalts und seiner venezolanischen Frau. Er war vier Jahre älter als sie, hatte das dunkle Haar und strahlende Lächeln seiner Mutter und einen Abschluss in Mathematik, wollte sich aber einen langgehegten Traum erfüllen und Schriftsteller werden. Er arbeitete derweil als Barkeeper, und gerade in dieser turbulenten Zeit seines Lebens hatten er und Anet beschlossen zu heiraten. Sie waren bereits seit einem Jahr zusammen.
Die Hochzeit fand in Brooklyn im Haus von Freunden statt. Anet war nicht religiös, zumindest nicht im griechisch-orthodoxen Sinne, aber als Geste gegenüber ihrem Vater wurden ein paar griechische Bräuche in die Trauung eingebunden. Wie bei einer griechischen Hochzeit würden sie kleine Kronen tragen, und der Ehering würde auf die rechte, nicht auf die linke Hand gesteckt. Es waren fünfzehn oder sechzehn Gäste, die Eltern von Braut und Bräutigam sowie dessen jüngerer Bruder Tommy, der auch sein Trauzeuge war, und Sophie als Trauzeugin der Braut nicht mitgezählt. Die anderen Gäste waren junge Paare und einige junge Frauen, die allein gekommen waren. Es war ein heißer Nachmittag. Auf einer Seite des Gartens war ein Tisch mit eisgekühltem Tee und Limonade aufgebaut. Danach auf dem Empfang würden dann Drinks serviert. Während sie warteten, fächerten sich einige der Frauen ein wenig Luft zu.
William Anders und seine Frau Flore mochten Anet sehr. Er fand sie ein wenig reserviert, aber vielleicht war sie das auch nur bei ihm. Als Rechtsanwalt war er ein Mann von höchster Diskretion. Er traf niemals vorschnelle Entscheidungen. Er war Treuhänder großer Vermögen und hatte Klienten, die er seit Jahren vertrat und mit denen er privat befreundet war, aber was die Freundin seines Sohnes betraf, war da etwas zwischen ihnen geschehen, und das seit dem ersten, alles sagenden Blick. Er selbst hätte sie sich auch ausgesucht, und vielleicht spürte sie das und war wachsam ihm gegenüber, aber an dem Tag auf der Hochzeit glaubte er, sie hätte seinen Blick ganz unverwandt erwidert.
Ein paar der Gäste hatten bereits in den Stuhlreihen Platz genommen, so auch Christine und ihr Mann. Sie trug einen Hut mit breiter Krempe, der ihr Gesicht umschattete, und ein Kleid mit einem Muster, das aussah wie ein Geflecht aus blauen Blättern. Jeder bemerkte sie. Auf dem Hochzeitsfoto sah sie aus wie eine Frau um die dreißig, das eine Bein wie ein Modell vor das andere gestellt. Tatsächlich war sie zweiundvierzig und noch nicht ganz bereit, der Jugend die Bühne zu überlassen.
Es wurde Musik vom Band gespielt, ein Streichquartett. Anet war von Streichquartetten normalerweise eher gelangweilt, hatte aber das Gefühl, es wäre das Richtige für den Anlass, und außerdem, im Haus konnte sie es sowieso kaum hören. Tommy hatte sie kurz in einem der Zimmer gesehen, während er durch das Haus in den Garten ging. Sie stand da in ihrem weißen Hochzeitskleid, das hier und da noch festgesteckt wurde. Sie war zu beschäftigt, um ihn zu bemerken oder zu lächeln, zu nervös, aber auch stolz, vor den Augen ihrer Eltern zu heiraten, vor allem ihrer Mutter, mit der sie sich eine ganze Weile nicht sehr gut verstanden hatte, obwohl auch das mittlerweile vergessen war, was hieß, dass nicht länger darüber geredet wurde.
Christine hatte sie damals bei ihrer
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