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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Schluck.«
    Sie fand die Flasche und ein Glas, für sich holte sie keins. Sie schenkte ihm ein und setzte sich fast ans andere Ende der Couch. Sie war ein wenig betrunken, das sah er jetzt, aber die Hose und das Rüschenhemd verliehen ihr weiterhin eine einfache Eleganz. Sie saß da und sah ihn an. Sie wollte mit ihm reden. Es gab ein paar Dinge, die sie ihm sagen wollte, aber sie tat es nicht. Sie saß und schwieg. Bowman fühlte sich unwohl, und da er nicht wusste, was er tun sollte, setzte er sich näher zu ihr und küsste sie ruhig auf den Mund. Sie schien es abzuwägen.
    »Ich sollte nach Hause gehen«, sagte er.
    »Nein, bleib«, sagte sie. »Du kannst …«, sie sprach den Satz nicht zu Ende. »Geh nicht.«
    Sie griff nach unten und streifte ihre Schuhe ab. Ihr Gefühl sagte ihr, ihn nicht zu umarmen. Sie hätte sich dabei nicht wohl gefühlt. Sie stand auf und ging langsam ins Schlafzimmer. Er dachte, sie würde sich hinlegen und ohnmächtig werden. Nach ein paar Minuten ging er zur Schlafzimmertür.
    »Willst du dich zu mir ins Bett legen?«, sagte sie.
    Auf dem Bahnsteig von Hunters Point, wo er im Frühling und Herbst an den Freitagnachmittagen meistens den frühen Zug nahm, ging er bis zum Ende des Bahnsteigs, wo die hinteren Wagen hielten, wenn der Zug einfuhr. Es war Viertel vor vier, und nur wenige Leute standen am Gleis. Ein alter Mann in einem Leinenanzug mit einem Taschentuch in der Brusttasche und einem blauen Hemd las ein gefaltetes Stück Papier mit einer Lupe, ein Witwer, der allein lebte, oder auch ein Mann, der nie geheiratet hatte, aber welcher Mann hatte in dem Alter nie geheiratet? Er würde sicher in Southampton aussteigen wie schon seit vielen Jahren. Und in die Abenddämmerung spazieren.
    Der Zug war eingefahren. Letzte Reisende kamen die Treppen heruntergeeilt. Bowman stieg ein und setzte sich ans Fenster. Es war beruhigend, aufs Land zu fahren. Das Wochenende lag vor ihm. Die Schaffner mit ihren steifen blauen Mützen sahen auf ihre Uhren. Schließlich fuhr der Zug mit einem leichten Ruck an.
    Er las eine Weile ein Buch, dann klappte er es zu. Draußen zogen die Industriegebiete und Lagerhallen vorbei. An den Bahnschranken herrschte der übliche Verkehr am Abend, lange Schlangen wartender Autos mit brennenden Scheinwerfern. Die großen Straßen waren dicht befahren. Häuser, Bäume, unbekannte Orte trieben vorbei, Uferböschungen, geheimnisvolle Teiche. Er war schon oft daran vorbeigekommen und wusste nichts davon.
    Er hatte im Jahr zuvor Tivoli verlassen, der Professor war aus Europa zurückgekehrt, aber es war ohnehin nur ein Zwischenspiel gewesen. Er versprach, Katherine in New York zu sehen, aber ihre Leben trennten sich. Er mietete ein Haus nicht weit von dem ersten in Wainscott. Sein altes Leben, so fühlte er, wurde ihm zurückgegeben. Ann Hennessy besuchte ihn an einem Wochenende. Die Atmosphäre war zuerst ein wenig angespannt, aber das gab sich beim Essen.
    »Ich habe eine Flasche Amarone gekauft«, sagte er.
    »Ja, das hab ich bemerkt.«
    »Wirklich? Und was noch?«
    »Wenig. Ich war zu aufgeregt.«
    »Der Amarone wird dich beruhigen.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Aber dann brachte er das Thema auf Venedig.
    »Ich würde zu gerne einmal hinfahren«, sagte sie.
    »Es gibt einen fantastischen Reiseführer über Venedig – ich glaube, er ist vergriffen – von einem Mann namens Hugh Honour. Er ist Historiker. Es ist eins der besten Reisebücher, die ich je gelesen habe. Vielleicht hab ich es noch irgendwo. Er hat einen Begleiter namens John Fleming. Sie sind als die Herrlichkeit und die Ehre bekannt. Sie sind natürlich Engländer.
    Ich muss sagen, das Wort ›gay‹ gefällt mir irgendwie nicht«, sagte er. »Dafür sind sie zu gewichtig. Vielleicht nennen sie sich ja untereinander ›gay‹. Oder die römischen Kaiser, die kann man auch nicht wirklich ›gay‹ nennen. Sie vertrieben sich vielleicht ihre Zeit in Bädern mit irgendwelchen Jünglingen, die für ihre Gelüste aufkamen, aber sie ›gay‹ zu nennen kommt mir komisch vor. Verkommen, vergnügungssüchtig, pädophil, aber nicht ›gay‹. Es zerstört die Würde ihrer Perversion.«
    »An römische Kaiser hab ich gar nicht gedacht.«
    »Oder nehmen wir Kavafis. Ihn ›gay‹ zu nennen scheint doch nicht richtig. Oder John Maynard Keynes. Es klingt zu sehr nach einem bestimmten Jargon. Kavafis war ein Abweichler, ein Deviationist. Ich glaube, er benutzt das Wort sogar selbst. Das Wort ›gay‹ hat damit nichts zu

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