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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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hier?«
    »Ich wollte mich verabschieden«, sagte er und fügte hinzu: »Ich hab dir ein Buch mitgebracht, das dir gefallen könnte.«
    Vivian hatte als Kind Bücher besessen, sie und ihre Schwester, Kinderbücher, um die sie sich sogar gestritten hatten. Sie hatte Nancy Drew gelesen und auch andere, aber ganz ehrlich, sagte sie, sie lese nicht sehr viel. Ihre Haut leuchtete.
    »Danke sehr.«
    »Das ist eins von unseren«, sagte er.
    Sie las den Titel. Es war sehr süß von ihm. Nichts, was sie erwarten würde oder was Jungen, die sie kannte, taten, nicht einmal Erwachsene. Sie war zwanzig Jahre alt, aber noch nicht ganz bereit, sich selbst als Frau zu sehen, wahrscheinlich weil ihr Vater sie noch weitgehend unterstützte und sie ihn so verehrte. Sie hatte das Junior College abgeschlossen und eine Arbeit angenommen. Die Frauen, die sie kannte, wurden für ihren Stil geschätzt, dafür, wie sie im Sattel saßen, und für ihre Männer. Auch für ihren Mut. Sie hatte eine Tante, die in ihrem Haus von zwei Schwarzen mit vorgehaltener Pistole ausgeraubt worden war und ihnen kühl entgegnet hatte: »Wir waren viel zu gut zu euch.«
    Das Virginia von Vivian Amussen war angelsächsisch, privilegiert und inzuchtbehaftet. Hügeliges bewaldetes Land, wunderschön, reich und fruchtbar, mit niedrigen Steinwällen und schmalen Straßen. Die alten Häuser waren aus Stein, oft nur ein Zimmer tief, im Sommer konnte man die Fenster zu beiden Seiten öffnen, um eine Brise durchs Haus zu lassen. Ursprünglich war das Land in royal grants vergeben worden, riesige Parzellen, die noch vor der Revolution in Farmland umgewandelt worden waren, zuerst gab es Tabak, dann Viehwirtschaft.
    In den 1920er und 30er Jahren kaufte Paul Mellon, ein passionierter Jäger, weite Landstriche auf, und Freunde taten es ihm gleich. Von nun an gehörte das Land den Pferden und der Jagd, das aufgeregte, dumpfe Bellen der Hunde während der Hatz, zwischen den Bäumen tauchen die galoppierenden Pferde auf, die Reiter setzen über Steinwälle und Gräben, eine Steigung hinauf und hinab, ein wenig langsamer werdend, und dann wieder in vollem Galopp.
    Es war ein Ort der Ordnung und stilvollen Lebensart, das Königreich von Middleburg nach Upperville, abgeschieden, ein Ort und ein Leben für sich, vieles davon unfassbar schön, die weiten Felder, weich im Regen oder sanft und leuchtend in der Sonne. Im Frühling gab es die Rennen, den Gold Cup im Mai, eine Jagd quer über die Hänge, die Menge sah von den Reihen geparkter Autos aus zu, halb abgelenkt, um sie ein Picknick mit Essen und Trinken. Im Herbst gab es die Jagdgesellschaften, die bis in den Winter gingen, bis zum Februar, wenn der Boden hart war und die Wasserläufe gefroren. Jeder besaß Hunde. Wenn man einem Hund den Namen gegeben hatte, gehörte er einem, sobald er für die Jagd zu alt war. Er wurde einem einfach vor die Tür gesetzt.
    Die eleganten, großen Häuser gehörten den Reichen oder Ärzten, Landgüter – oder Farmen, wie sie genannt wurden –, die ihre alten Namen behielten. Die Leute kannten einander, wen man nicht kannte, wurde mit Misstrauen beäugt. Sie waren weiß, protestantisch, die wenigen Katholiken wurden still geduldet. In den Häusern standen englische Möbel, oftmals antik, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurden. Es ging um Pferde und um Golf. Die besten Freunde fand man beim Sport.
    Über die gerade, zweispurige Asphaltstraße kam man in weniger als einer Stunde nach Washington und in das Viertel in der Innenstadt, wo Vivian arbeitete. Ihr Job war mehr oder weniger eine Formsache, sie war Empfangsdame in einer Kanzlei, und am Wochenende fuhr sie nach Hause, zu den Rennen oder Auktionen der Vollblüter oder den Jagden über das Land. Die Jagdgesellschaften waren wie Clubs, um Mitglied der besten zu werden, zu denen auch sie und ihr Vater gehörten, musste man mindestens fünfzig Morgen Land besitzen. Der Jagdführer, ein Richter namens John Stump, war wie eine Figur aus einem Dickens-Roman, untersetzt und cholerisch, mit einer heillosen Schwäche für Frauen, die einmal dazu geführt hatte, dass er sich das Leben nehmen wollte, als eine Frau, die er liebte, ihn zurückwies. In seiner Leidenschaft stürzte er sich aus dem Fenster, landete aber im Gebüsch. Er war dreimal verheiratet, und wie allgemein bekannt hatten die Frauen jedes Mal größere Brüste. Die Scheidungen kamen durch seine Trinkerei, die ganz zum Bild des Großgrundbesitzers passte, als

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