Alles, was ist: Roman (German Edition)
es schließlich recht verwegen war, einfach den Zug zu nehmen und zu einem Mann zu fahren, den sie in einer Bar kennengelernt hatte, dessen Familie sie nicht kannte, der aber eine gewisse Tiefe besaß und auch sonst recht besonders schien. Sie gingen ins Luchow’s, wo der Kellner Guten Abend sagte. Bowman wechselte mit ihm ein paar Worte auf Deutsch.
»Ich wusste gar nicht, dass du Deutsch kannst.«
»Na ja, bis vor kurzem war es auch nichts, was man erzählt hätte«, sagte Bowman.
Er habe in Harvard Deutsch studiert, erklärte er, weil es die Sprache der Wissenschaft sei.
»Damals wollte ich noch Wissenschaftler werden. Ich war lange Zeit unschlüssig, hatte überlegt, vielleicht Lehrer zu werden. Ich habe manchmal immer noch eine gewisse Sehnsucht danach zu unterrichten. Dann wollte ich Journalist werden, hab aber keine Stelle gefunden. Und dann hab ich von der Arbeit im Verlag gehört. Es war reiner Zufall oder auch Schicksal. Und? Glaubst du an Schicksal?«
»Hab noch nicht darüber nachgedacht«, sagte sie leichthin.
Er redete gerne mit ihr, er mochte ihr gelegentliches Lächeln, das ihre Stirn zum Glänzen brachte. Sie trug ein ärmelloses Kleid, die Rundungen ihrer schmalen Schultern leuchteten. Ihr kleiner Finger war angewinkelt und stand zur Seite weg, als sie ein Stück Brot aß. Gesten, Gesichtsausdrücke, die Art, wie man sich kleidete – all das waren verräterische Dinge. Er dachte an Orte, an denen er mit ihr sein könnte, an denen sie niemand kannte und er sie tagelang für sich hätte, auch wenn er nicht genau wusste, wie es dazu kommen sollte.
»New York ist wundervoll, findest du nicht?«, sagte er.
»Doch. Ich komm gerne her.«
»Woher kennst du Louise?«
»Wir waren zusammen auf dem Internat, in derselben Klasse. Das Erste, was sie mir erzählte, war ein schmutziger Witz. Na ja, nicht richtig schmutzig, du weißt schon.«
Er erzählte ihr von dem Mal, als die Buchstaben E und s auf dem großen Schild über dem Essex House ausgegangen waren. Und da stand es, vierzig Stockwerke hoch über der Stadt und leuchtete durch die Nacht. Er ging nicht ins Detail. Er wollte nicht grob erscheinen.
Am Ende des Abends wollte er sich von ihr an der Haustür verabschieden, aber sie tat, als wäre er gar nicht da. Sie schloss die Tür auf und sagte nichts. Louise war über das Wochenende zu ihren Eltern gefahren. Vivian war nervös, obwohl sie es nicht zeigen wollte. Er ging mit ihr nach oben.
»Möchtest du eine Tasse Kaffee?«, fragte sie.
»Ja, das wäre … nein«, sagte er. »Eigentlich nicht.«
Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander, dann lehnte sie sich einfach zu ihm herüber und küsste ihn. Der Kuss war zart, aber leidenschaftlich.
»Willst du?«, fragte sie.
Sie zog sich nicht ganz aus – Schuhe, Strümpfe und Rock, das war alles. Auf mehr war sie nicht vorbereitet. Sie küssten sich, flüsterten miteinander. Als sie ihren Schlüpfer auszog, atmete er kaum, er war ganz weiß wie etwas Heiliges. Die Zartheit, der blonde Flaum. Er konnte nicht glauben, was sie taten.
»Ich … ich habe nichts bei mir«, flüsterte er.
Sie antwortete nicht.
Er war unerfahren, aber dann war es ganz natürlich und überwältigend. Auch ging es zu schnell, er konnte es nicht zurückhalten. Es war ihm peinlich. Ihr Gesicht war neben seinem.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich konnte nicht anders.«
Sie sagte nichts, konnte es auch nicht wirklich beurteilen.
Sie ging ins Badezimmer, und Bowman legte sich zurück, ehrfürchtig vor dem, was geschehen war, wie berauscht von einer Welt, die sich ihm eröffnete und die größten Freuden bereithielt, Freuden jenseits von allem, was er kannte. Er wusste nur von dem Glück, das vor ihm lag.
Vivian hatte weniger berauschte Gedanken. Es bestand die Möglichkeit, dass sie schwanger würde, auch wenn sie nicht wirklich wusste, wie wahrscheinlich das war. In der Schule hatten sie viel darüber gesprochen, aber im Grunde war es nur Gerede und alles etwas vage. Immerhin gab es die Geschichte von dem Mädchen, bei der es gleich beim ersten Mal passiert war. Das sähe ihr ähnlich, dachte sie. Aber dann war es ja auch nicht ganz das erste Mal gewesen.
»Du erinnerst mich an ein Pony«, sagte er verträumt.
»Ein Pony? Warum?«
»Du bist einfach so schön. Und frei.«
»Ich weiß nicht, was das mit einem Pony zu tun hat«, sagte sie. »Und Ponys beißen. Meines zumindest.«
Sie schmiegte sich an ihn, und er versuchte, ihren Gedanken zu folgen. Was immer
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