Alles, was ist: Roman (German Edition)
berühmten Namen früherer Bewohner standen, Boswell, Browning, Mozart, Shelley und sogar Chaucer; dem verborgenen Luxus aus imperialer Zeit und seinen Wächtern in Form silberbetresster Türsteher vor den großen Hotels; den exklusiven Clubs, den Buchhandlungen, Restaurants und endlosen Adressen von Terraces, Places, Roads, Courts, Crescents, Squares, Avenues, Rows, Gardens, Mansions und Mews; den vielen kleinen und auch schäbigen Hotels mit Zimmern ohne Bad; seinem Verkehr; den Geheimnissen, von denen man nie etwas erfahren würde. In diesem London gewann er eine erste Vorstellung von der Geografie des Verlegens, dem Netzwerk von Menschen aus verschiedenen Ländern, die einander kannten, vor allem, wenn sie an der selben Art Bücher interessiert waren und ähnliche Autoren verlegten, und, ebenso wichtig, Freunde waren, keine engen vielleicht, sondern Kollegen und Rivalen, die aber gerade dadurch und durch ihr gemeinsames Bestreben zu Freunden wurden.
Größtenteils waren es fähige und auch herausragende Männer, einige mit hohen Grundsätzen, andere weniger. Der bekannteste britische Verleger, über den man zumindest am meisten sprach, war Bernard Wiberg, ein kräftiger Mann Ende vierzig mit einem Gesicht wie aus dem achtzehnten Jahrhundert, leicht zu karikieren, mit großer Nase und spitzem Kinn und etwas zu kurzen Armen. Er war als deutscher Flüchtling kurz vor Ausbruch des Krieges ohne einen Penny nach England gekommen. In den ersten Jahren teilte er sich ein Zimmer, und sein einziger Luxus war es, einmal die Woche im Dorchester einen Kaffee zu trinken, umgeben von Menschen, die für dreißig Shilling oder mehr zu Mittag aßen, und entschlossen, eines Tages einer von ihnen zu sein.
Er begann, indem er gemeinfreie Bücher veröffentlichte, sie attraktiv gestaltete und elegant vermarktete. Er hatte großen Erfolg mit verderbten Memoiren von Frauen, die sich vorzugsweise in jungen Jahren im London der Regency-Zeit Mann für Mann nach oben geschlafen hatten, und er veröffentlichte trotz allgemeiner Empörung ein paar Bücher über den Holocaust, nur von der anderen Seite beschrieben, unter anderem einen Bestseller mit dem Titel Julia aus dem Lager , der auf einigen Mythen von einem schönen jüdischen Mädchen beruhte, die sich eine Zeitlang retten konnte, indem sie in einem Konzentrationslager im Lagerbordell arbeitete, wo ein deutscher Offizier sich in sie verliebte. Es war eine Kränkung gegenüber den unzähligen Opfern und in den Augen der Überlebenden eine Lüge. Wiberg reagierte in hochtrabendem Ton.
»Geschichte muss man nehmen wie Kleider im Schrank«, sagte er. »Man zieht sie an und versteht.«
Er sprach im Grunde von seinem eigenen Leben, von seiner Familie, die ausnahmslos in dem schreckenerregenden Albtraum von Osteuropa ums Leben gekommen war. Er hatte das alles hinter sich gelassen. Seine Fingernägel waren poliert und seine Kleidung teuer. Er liebte Musik und die Oper, sein Verlag, so sagte er einmal, war im Grunde wie ein Symphonieorchester aufgebaut: Im Hintergrund waren die Bassgeigen und Trommeln, als Grundlage sozusagen, die großen, gewichtigen Werke, dann kamen weiter vorne die Flöten, Oboen und Klarinetten, Werke von weniger Gewicht, die die Menschen aber glücklich machten und von denen sich ganze Wagenladungen verkauften. Sein größeres Interesse galt den Trommeln – er wollte, dass Nobelpreisträger ihre Bücher für ihn mit einer persönlichen Widmung versahen, ein schönes Haus besitzen und Partys geben.
Das Haus besaß er bereits, genau genommen war es ein Apartment mit Blick über den Regent’s Park, das sich über zwei ganze Stockwerke erstreckte. Es war luxuriös, mit hohen Decken, die Wände in tiefen, ruhigen Farben gehalten und mit Zeichnungen und Gemälden behangen, eines davon war ein großer Bacon. Die Bücherschränke standen voll, es gab keinen Lärm von der Straße oder dem Verkehr, es herrschte eine vornehme Ruhe, und ein Diener servierte Tee.
Robert Baum und Wiberg verstanden sich auf Anhieb, und über die Jahre machten sie viele gemeinsame Geschäfte, wobei jeder behauptete, der andere hätte den besseren Schnitt gemacht.
Edina hatte eine andere Meinung und nicht nur sie.
»Es gibt wirklich wundervolle deutsche Flüchtlinge mit Namen Jakob«, sagte sie. »Ausgezeichnete Ärzte, Bankiers, Theaterkritiker. Aber er gehört nicht dazu. Er kam her und hat sich die Achillessehne herausgesucht, die englische gentility hat er schamlos ausgenutzt. Er hat
Weitere Kostenlose Bücher