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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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derselbe Typ, und sie hatte zwei uneheliche Brüder.
    Aleksei war verreist gewesen, in Sizilien, und erst am Abend zuvor nach einem Zwischenstopp in einem Londoner Nachtclub zurückgekommen. Man kannte ihn dort, das Glücksspiel gehörte zu seinen Gewohnheiten. Er schlenderte durch den Raum, in einer Hand ein paar Chips, und strich unbewusst mit dem Daumen darüber. Er hatte kein System, er spielte nach Gefühl, manche Männer haben scheinbar ein Händchen dafür. Er ging an dem Chemin-de-fer -Tisch vorbei, und dann, ganz plötzlich, griff er hinüber und machte seinen Einsatz. Es war eine mediterrane Geste, reiche Ägypter taten so etwas. Abgesehen von seinem Aussehen hätte er einer sein können, ein unbekannter Playboy oder König.
    Er stand an dem Roulettetisch und hörte dem Kreisen der Elfenbeinkugel zu, ein langes, schwächer werdendes Geräusch, und dann das schicksalhafte Klickern, wenn die Kugel über die Trennwände der Zahlen sprang und abrupt in einer liegen blieb. Vingt-deux, pair et noir . Zweiundzwanzig, das Jahr, in dem er geboren worden war. Zahlen wiederholten sich manchmal, aber er glaubte nicht wirklich daran. An dem Spieltisch waren noch ein paar jüngere Leute und ein Mann in einem leicht zerschlissenen Anzug, der auf einem Kärtchen alle Zahlen notierte, die gefallen waren. Dann machte er einen kleinen Einsatz auf Schwarz oder Rot. Faites vos jeux , sagte der Croupier. Weitere Gäste kamen an den Tisch. Etwas Unsichtbares zog sie an, etwas in der verbrauchten Luft. Faites vos jeux . Eine Frau in einem Abendkleid hatte sich an den Tisch gedrängt, eine jüngere Frau, die Leute standen seitlich zwischen den Stühlen. Das grüne Fries war dicht mit Chips belegt. Sobald jemand auf eine Zahl setzte, taten es ihm zwei weitere gleich. Rien ne va plus , erklärte der Croupier. Das Rad fing an sich zu drehen, dann drehte es schneller, und plötzlich schoss die Kugel aus seiner geübten Hand und begann in der entgegengesetzten Richtung dicht unter dem Ring zu kreisen, und genau in dem Moment, wie jemand, der noch beim Ablegen an Bord eines Schiffes springt, setzte Aleksei fünfzig Pfund auf die Sechs. Die Kugel lief mit ihrem wunderschönen Klang, dem man endlos zuhören konnte, ein Klang ungeheurer Möglichkeiten, er könnte achtzehnhundert gewinnen, und für fünf oder sechs Sekunden, die so viel länger schienen, wartete er ruhig, aber gebannt, fast als würde sich das Blatt der Guillotine heben, und dann sank langsam die Kugel bis zum letzten Moment und dem metallischen Hüpfen, bevor sie schließlich und unabänderlich in einer Zahl liegen blieb. Es war nicht die Sechs. Als geübter Spieler, zeigte er weder Gefühl noch Bedauern. Er setzte mehrere Male sechzig Pfund, dann ging er an einen anderen Tisch.
    Am Morgen saß er im Garten mit seinem Kaffee, dem Garten der Versöhnung, wie er ihn nannte. Mit dem weißen Hemd an dem runden Metalltisch wirkte er wie ein Verwundeter auf der Terrasse eines Krankenhauses. Man konnte ihm nicht böse sein. Er sprach nicht von der vergangenen Nacht, sondern lieber von Palermo, der Stadt ohne Straßenschilder.
    »Es stimmt wirklich«, sagte er. »Wo man auch hingeht, es gibt nicht ein Straßenschild. Alles ist total marode.«
    Er strich seine Zigarette glatt, die er aus einem verkrumpelten Päckchen genommen hatte. Alles, was er tat, war in gewisser Weise die Handlung eines Überlebenden und gleichzeitig die eines Mannes, der überleben würde. Er schien das Spiel bereits gespielt zu haben.
    »Stinkend vor Verbrechen, nehm ich an«, sagte Edina.
    »Sizilien? Klar, sicher«, gestand Aleksei. »Da gibt es schon Verbrechen. Aber man sieht es nicht. Entführungen. Frauenraub – deshalb wollte ich auch nicht, dass du mitkommst.«
    »Aus Angst, ich könnte geraubt werden?«
    »Ja. Wir haben unseren Krieg wegen einer geraubten Frau schon hinter uns«, sagte er.
    »Was soll man da machen?«, sagte sie zu Baum.
    »Wir fahren zusammen nach Amerika«, versprach Aleksei. »Wir mieten uns ein Auto und fahren quer durchs Land, nach St. Louis und Chicago, die Great Plains.«
    »Ja, natürlich«, sagte sie. »Ich verlass mich drauf.«
    Sie entschuldigte sich, um, wie sich herausstellte, auf dem Boden in ihrem Schlafzimmer Yoga zu machen, Erkenntnis zu erlangen, die Arme und Beine schwimmend in der stillen Luft, und später etwas zu lesen.
    In London mit seinen hochmütigen Geschäften auf der Jermyn und New Bond Street; den Häusern mit den blauen Plaketten, auf denen die

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