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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Er hatte Gitarre gespielt und ihr mit tiefer Stimme vorgesungen.
    Ein Rechtsanwalt aus Austin, der von seiner Familie bestellt worden war, kümmerte sich über eine Kanzlei in New York um die Scheidung. Ihr wurden monatlich vierhundert Dollar Unterhalt für das Kind zugesprochen – für sich selbst hatte sie nichts gewollt –, und Eddins hatte von nun an einen Sohn.
    Große Verleger waren nicht immer gute Lektoren, und gute Lektoren waren nur selten gute Verleger, aber Bowman war irgendwo dazwischen. Spätabends, wenn der Lärm der Autos verklungen war, saß Bowman oft wach und las. Vivian war bereits schlafen gegangen. Das einzige Licht war eine Stehlampe neben dem Sessel, an seinem Ellbogen stand ein Drink. Er mochte die Stille, die goldene Farbe des Whiskys, und Lesen. Er mochte Essen, Leute, Gespräche. Aber das Lesen war ein unermessliches Vergnügen. Was dem einen die Musik war, waren für ihn Worte auf einem Blatt Papier.
    Am Morgen fragte ihn Vivian, um wie viel Uhr er ins Bett gekommen war.
    »So gegen halb eins.«
    »Was hast du gelesen?«
    »Über Ezra Pound und das St. Elizabeth.«
    Vivian kannte das St. Elizabeth. In Washington war es gleichbedeutend mit Geisteskrankheit und Wahnsinn.
    »Warum ist er da drin?«
    »Wahrscheinlich weil sie nicht wussten, was sie sonst mit ihm machen sollten.«
    »Was hat er denn getan?«
    »Du weißt, wer er ist?«
    »Ich weiß genug«, sagte sie.
    »Na ja. Er ist ein großer Dichter. Und hat sich im Grunde selbst ausgebürgert.«
    Sie wollte ihn nicht fragen, was das bedeutete.
    »Er hat in Italien für die Faschisten im Rundfunk gesprochen«, erklärte Bowman. »Die Sendungen wurden in Amerika Anfang des Krieges ausgestrahlt. Er war wie besessen vom Übel der Banken, den Juden, dem Provinzialismus in Amerika, und darüber hat er dann in seinen Sendungen gesprochen. Er war gerade bei einem Abendessen in Rom, als er hörte, die Japaner hätten Pearl Harbor angegriffen, und er sagte nur, mein Gott, ich bin ruiniert.«
    »Hört sich nicht gerade sehr verrückt an«, sagte Vivian.
    »Eben.«
    Er wollte noch weiter über Ezra Pound reden und das Thema auf die Cantos lenken, ihr vielleicht ein oder zwei der brillantesten daraus vorlesen, aber Vivian war mit den Gedanken woanders. Wo, wollte er im Grunde gar nicht wissen. Er dachte stattdessen an ein Mittagessen zurück, ein paar Tage zuvor, mit einem seiner Autoren, der nur bis zum Abschluss der siebten Klasse zur Schule gegangen war, warum, erklärte er nicht weiter. Seine Mutter hatte ihm einen Bibliotheksausweis in die Hand gedrückt und gesagt, geh und lies die Bücher.
    »Die Bücher. Genau das hat sie gesagt. Sie wollte eigentlich Lehrerin werden, aber dann kamen all die Kinder. Sie war eine enttäuschte Frau. Sie sagte, du stammst von ehrlichen, hart arbeitenden Leuten ab. Aufrichtigen Leuten.«
    Aufrichtig war ein Wort, das ihn sein ganzes Leben verfolgte.
    »Sie versuchte, mir etwas zu sagen. Sie wollte es nicht direkt sagen. Wie alle stolzen Menschen. Wenn man es nicht verstand, dann nicht. Aber sie wollte es weitergeben. Es war ihr Erbe. Auch wenn wir so was im Grunde gar nicht hatten, aber sie glaubte daran.«
    Sein Name war Keith Crowley, ein schmächtiger Mann, der beim Reden zur Seite blickte. Bowman mochte ihn und auch, was er schrieb, aber sein Roman verkaufte sich nicht, zweitausend Exemplare, das war alles. Er schrieb noch zwei weitere Bücher, eines davon mit Bowman, dann verschwand er von der Bildfläche.

8. London
    Er wachte im Dunkeln von einem heftigen Prasseln auf. Es regnete, die Tropfen hämmerten gegen das Fenster. Er war während eines Sturms zur Welt gekommen, er war immer glücklich, wenn es stürmte. Vivian lag zusammengerollt neben ihm, sie schlief, und er lag wach und lauschte dem strömenden Regen. Am Abend fuhren sie nach London, er und Baum, und es regnete den ganzen Tag, nasser Nebel troff von den riesigen Rädern der Laster neben ihnen, während sie zum Flughafen fuhren, die Scheibenwischer des Taxis gingen hin und her. Und doch waren Bowmans Erwartungen alles andere als verwässert. Er war sich sicher, er würde England und die Stadt, von der er als Student geträumt hatte, mögen, die prachtvolle Stadt seiner Fantasie und ihre legendären Gestalten, die geschliffenen Männer und Frauen aus Evelyn Waughs Romanen, die Virginias, die Catherines und Janes, engstirnig, selbstsicher und sich einer Welt außerhalb der ihren nur vage bewusst.
    Im Flugzeug saßen sie nebeneinander, Baum las in

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