Alles, was ist: Roman (German Edition)
Kostümfest, sagte Wiberg, ob er nicht kommen wolle. Bowman stieg neben der Göttin Juno, die eine gold-weiße Maske trug, und einem silbernen Wikinger mit großen Hörnern auf dem Helm die breite Treppe hinauf. Die Tür zu dem luxuriösen Apartment stand offen, darin eine Schar von Menschen aus einer anderen Welt, ein Ordensritter mit einem großen roten Kreuz auf seinem Waffenrock; ein paar Wilde mit langen Strohperücken und grünen, zerrissenen Kleidern; Gäste in Abendgarderobe, die schwarze Masken trugen; und Helena von Troja in einem lavendelfarbenen Gewand mit griechisch anmutenden überkreuzten Trägern auf einem sehr freien Rücken. Bowman hatte in letzter Sekunde ein Kostüm aufgetrieben, einen rot-grünen Husarenrock, den er über seiner Hose trug. Wiberg kam, ganz der britischen Vorstellung des Exotischen verhaftet, als Pascha verkleidet. Auf dem Treppenabsatz spielte ein Sextett.
Es war schwer, sich in der Menge zu bewegen. Die Gäste kamen, zumindest ihren Gesprächen nach, nicht aus dem Literaturbereich. Es waren Leute der Gesellschaft, von den Botschaften, Filmleute und andere, die den Abend für sich nutzen wollten, eine Frau steckte einem Mann ihre Zunge in den Hals, eine andere – Bowman sah sie nur einmal – war wie eine Kellnerin in einem Drive-in gekleidet, mit sehr kurzer Hose und metallisch glänzenden Strümpfen, und bewegte sich wie ein Fisch im Wasser durch die Menge. Wiberg sprach nur kurz mit ihm. Bowman kannte niemanden. Die Musik spielte weiter. Zwei Engel standen bei dem Orchester und rauchten. Um Mitternacht begannen Kellner in weißen Jacketts das Souper zu reichen, es gab Austern und kaltes Rindfleisch, Sandwichs und Pasteten. Gestalten in wunderschönen Seidenkleidern wandelten durch den Raum. Eine ältere Frau mit einer Nase, so lang wie ein Zeigefinger, schlang gierig einen Happen hinunter, ihr Begleiter schnäuzte sich in eine Leinenserviette, ganz offenbar ein Gentleman. Und dann war da noch – sofern man es wusste – die Edelnutte der Upperclass, die von der Gästeliste gestrichen worden und dennoch gekommen war und in einer Art Aufbegehren fünf der männlichen Gäste in einem der Schlafzimmer nacheinander einen geblasen hatte.
Bowman, dem es langsam an Dingen, die er bemerken konnte fehlte, und auch an Ecken, an die er sich stellen konnte, betrachtete auf einem Tisch eine Sammlung von Fotografien in dicken silbernen Rahmen, gutgekleidete Paare und auch Einzelpersonen, die vor ihren Häusern oder Gärten standen, ein paar davon mit Widmung. Eine Stimme hinter ihm sagte: »Bernard hat eine Schwäche für Titel.«
»Ja, ich seh sie mir grad an.«
»Titel und Menschen, die sie besitzen.«
Eine Frau in einem schwarzen Hosenkleid aus Seide war neben ihn getreten, sie trug eine Art Piratentuch um den Kopf und passende Goldohrringe. Es war ein halbherziges Kostüm, es hätte leicht ihre normale Kleidung sein können. Auch sie hatte eine lange Nase, war aber sehr schön. Er wurde plötzlich nervös und hatte das sichere Gefühl, gleich etwas Dummes zu sagen.
»Sind Sie von der Botschaft?«, fragte sie.
»Der Botschaft?«
»Der amerikanischen Botschaft.«
»Nein, nein. Nichts derart. Ich bin Lektor.«
»Bei Bernard?«
Woher kannte sie ihn? fragte er sich. Aber natürlich taten das fast alle hier.
»Nein, bei einem amerikanischen Verlag, Braden und Baum. Wissen Sie«, gestand er, »Sie sind heute Abend die erste Person, mit der ich spreche.«
Ein Kellner stand in ihrer Nähe.
»Wollen Sie etwas trinken?«, fragte er.
»Nein, danke. Ich hab schon jetzt zu viel getrunken«, sagte sie.
Er konnte es sehen, an ihren Augen und einem gewissen Zögern in ihren Bewegungen.
»Sind Sie mit jemandem hier?«, hörte er sich fragen.
»Ja. Mit meinem Mann.«
»Ihrem Mann.«
»So nennt man ihn. Wie, sagten Sie, war Ihr Name?«
Sie hieß Enid Armour.
»Mrs«, sagte er. »Mrs Armour.«
»Das wiederholen Sie aber oft.«
»Das wollte ich nicht.«
»Macht nichts. Bleiben Sie lange in London?«
»Nein.«
»Vielleicht beim nächsten Mal«, sagte sie.
»Ich hoffe.«
Sie schien das Interesse zu verlieren, drückte aber, wie zum Trost, den Rand seiner Hand, als sie weiterging. Er sah sie in der Menge nicht wieder, doch es gab auch andere illustre Gäste. Sie war vielleicht gegangen. Er fand den Namen ihres Mannes auf einer Liste am Eingang auf einem Tisch. Um kurz vor drei gab es nur noch ein paar fantastische Gestalten, ein als Eule verkleideter Mann mit Kleiderfetzen als
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