Alles Wurst
versenken?«
»Zweifellos gäbe es dafür eine ganze Reihe vernünftiger Gründe«, räumte er ein. »Allen voran seine unerträgliche Experimentaltheologie. Andererseits war er der Einzige, der sich des kleinen Jens angenommen hat. Er war wie ein Vater für ihn.«
»Was ist aus ihm geworden?«
»Das wollte ich eigentlich Sie fragen, Herr Detektiv.«
42
Viele halten die Welt für eine Gleichung und lieben es, zwei und zwei zusammenzuzählen. Ich dagegen gehöre nicht zu denen, die daran glauben, dass das Geheimnis des Daseins vier lautet. Wenn man schon eine Rechenaufgabe bemühen will, dann eine, die nicht aufgeht, so wie zehn durch drei.
Mordfälle sind ein guter Beleg für diese These. Ihre Aufklärung verläuft nämlich nie so glatt wie in den Fernsehkrimis, die einem punktgenau am Ende jeder Episode den Schuldigen präsentieren. Ein Mord wurde aufgeklärt, der Kripobeamte legt dem Täter die Hand auf den Kopf und stopft ihn in den Streifenwagen. Die Welt ist wieder in Ordnung. Zwei und zwei ist vier.
Es war eine Woche her, seit die Preisverleihung im Grünen Winkel im Chaos geendet hatte. Ausgerechnet an jenem Tag, an dem er am hellsten aufleuchten sollte, war Götz Wallensteins Ruhm verzischt wie eine Fackel in einem Wolkenbruch. Ihm wurde zur Last gelegt, die Morde an Heiner Fricke, Antje Nebel und Mirko Bölling in Auftrag gegeben zu haben. Schadewaldt, so hieß es, sei nur der Ausführende gewesen. Das Motiv: um jeden Preis zu verhindern, dass Wallensteins unrühmliche Rolle im Müllfleischskandal publik wurde.
Was mich anging, so glaubte ich nicht daran, dass Schadewaldt, der gute Geist mit dem Ordnungszwang, tatsächlich auf Anweisung getötet hatte. Trotzdem ergab zwei und zwei vier: Sobald bekannt wurde, dass der gesamte nachhaltige Lebensstil des großen Götz Wallenstein reiner Luxus war, der mit Gewinnen aus dem Verkauf von illegal gepanschtem Separatorenfleisch finanziert wurde, reagierten die meisten seiner Stammkunden mit einer Empörung, die nicht schlimmer ausgefallen wäre, wenn man im Keller seines Hauses Berge von Frauenleichen gefunden hätte. Zwei Nächte später fielen militante Veganer über die Casa Verde her und hinterließen ein Werk der Zerstörung, das sogar den Ku-Klux-Klan neidisch gemacht hätte.
Ich gab es nur ungern zu, aber der Kollaps des Allwetterfleisch- Imperiums war im Wesentlichen ein Verdienst der Ermittlungen des Detektivbüros Kittel & Armbruster. Der Absturz vollzog sich so rasant und umfassend, dass viele ihn mit der Weltfinanzkrise in Verbindung bringen wollten oder in Anlehnung daran von einer Fleischkrise sprachen. Geschürt durch die lokalen Medien machten in Münster Horrormeldungen die Runde: Hundebesitzer berichteten, ihre Lieblinge niemals wiedergesehen zu haben, nachdem sie sie in der Loddenheide von der Leine gelassen hatten, ein Kunde wollte beim Genuss eines Hähnchenragouts in einem Feinschmeckerrestaurant eine Zahnkrone verloren haben, als er ahnungslos auf den Ring seines kürzlich entflogenen Wellensittichs biss. Die Abfallwirtschaftsbetriebe Münster schalteten große Anzeigen in den Tageszeitungen, in denen sie erklärten, mit all dem nichts zu tun zu haben, womit sie allgemein in Verdacht gerieten.
Aber die Krise zog unaufhaltsam immer weitere Kreise. Nicht nur in Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt wurden Fleischskandale aufgedeckt, sondern auch im benachbarten Ausland, in Tschechien, Belgien und natürlich in Großbritannien. Keiner, so hatte es den Anschein, wollte zurückstehen. Fleischskandale kamen regelrecht in Mode, und einige Regionen schienen Imagenachteile zu befürchten, wenn ihr Name nicht genannt wurde. Fleisch, so wurde bekannt, war niemals so reisefreudig gewesen wie heute. Während die Menschen den Jakobsweg hinauf- und hinabpilgerten, machte sich das Fleisch aus Osteuropa auf den langen Weg ins südliche Italien, wo es eine Verschnaufpause auf neapolitanischen Müllhalden einlegte. Dann zog es weiter an den Rhein, von wo aus es via Kölner Müllentsorgung in die Regale norddeutscher Discounter zurückkehrte. Der Verbraucher sei immer der Dumme, behaupteten Verbraucherschützer, und viele ihrer Schützlinge schienen geradezu versessen darauf, dies vor laufender Kamera unter Beweis zu stellen. Immer öfter zeigten die Nachrichten Schlachthöfe, die von der Kripo abgesperrt wurden, und Ermittler, die in Schutzanzügen und Gummihandschuhen Lebensmittel beschlagnahmten. Währenddessen debattierten Experten in den
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