Alles Zirkus
sind inzwischen Theoretiker. Doch wie soll er geschniegelten Werbeleuten klarmachen, dass sie nicht nur auf ihresgleichen setzen dürfen im Kampf um die Wurst? Dschungelkampfausbildung, erstklassige Französischkenntnisse, diverse militärische Auszeichnungen, alle erdenklichen Führerscheine und ein Diplom aus Leipzig als Gebrauchsgrafiker. Das sind Qualifikationen, die eigentlich niemand ignorieren kann, wieso sollte es dann ausgerechnet ein Herr Tomm versuchen? Nur gilt es, erst einmal an ihn heranzukommen. Man gelangt so furchtbar schlecht hin zu jenen, die begreifen können, was einer zu bieten hat. Und darum ist es ihm bislang nicht gelungen, eine der Chancen, die er sich für seinen Neustart in Deutschland zurechtgelegt hat, zu nutzen. Aber diesmal darf er es nicht verpatzen, weil in seinem Portemonnaie kaum noch Euroscheine, aber eben auch keine weiteren Visitenkarten stecken.
Sein leerer Magen bringt sich in Erinnerung. Seit dem Frühstück hat Schach nichts mehr zu sich genommen, und gewohnheitsmäßig begnügt er sich morgens mit einer Tasse Espresso und einem Croissant, aus Kostengründen verzehrt in einem Stehausschank. Jetzt allerdings muss langsam doch etwas gegessen werden. Er setzt sich in Bewegung. Von den Lokalen, an denen er vorüberkommt, wirbt keines überzeugend dafür, dort die letzten Reste seines schwer verdienten Solds zu lassen. Nach einiger Zeit steuert er die nächstbeste Konditorei an, setzt sich an eine der lächerlichen Tischminiaturen, bestellt einen Kakao und wackelt bei jedem Bissen Kuchen mit seinem Stühlchen hin und her. Er ist froh, noch einen Platz gefunden zu haben. Um diese Zeit machen hier anscheinend viele Berufstätige Mittagspause. Keine schlechte Empfehlung. Alltäglichkeit besitzt noch immer das beste Fluidum. Er versucht sich vorzustellen, wie die Geschäfte aussehen, zu denen sie nach der Pause zurückkehren. Vielleicht ist er bald einer von ihnen, ein Kollege sozusagen, der es ebenfalls eilig hat, wieder an die Arbeit zu gehen. Noch ist die Hetze nicht sein Hauptproblem. Eine Frau mit rundem, verschlossenem Gesicht sitzt alleine an ihrem Tisch, besonders deutsch sieht sie nicht aus. Irgendwo ist sie ihm schon einmal begegnet. Er kennt solche Frauen von seinen Fahrten für den Farbenhändler, bei dem er in Paris gearbeitet hat. Vielleicht ist sie ja Französin – eine eingebildete Dozentin aus Montpellier, die in der Freizeit malt, schätzt er. Oder vielleicht erinnert sie ihn an Frauen aus Polen und der Tschechoslowakei, die ihm in der DDR über den Weg gelaufen sind. Sie strahlt jedenfalls etwas Blasiertes aus, findet er, sogar in der Weise, wie sie dort sitzt. Auch wenn es hier drinnen ziemlich stickig ist, weil die Sonne durch die großen Fenster hereinscheint, behält sie ihren Schal um den Hals, liest die ganze Zeit in einem Buch und nimmt, ohne auf das zu achten, was sie umgibt, hin und wieder eine Gabel von dem Tortenstück auf ihrem Teller.
Was will dieser Mann dort, wieso starrt er immer wieder zu ihr herüber? Er scheint zu glauben, sie bemerke es nicht. Hat sie sein Gesicht nicht schon einmal gesehen? Jetzt sind sich ihre Blicke begegnet – er hat schnell fortgeschaut und so getan, als sei er in Gedanken. Sein leuchtend gelber Schnurrbart hat einen braunen Streifen und tanzt beim Kauen auf und ab wie ein Stück Bambus, während seine Augen sich den Anschein geben, ganz mit dem Kuchen beschäftigt zu sein. Bauarbeiter sehen manchmal so aus, mit rotgekerbter Haut, aber sitzen die mittags in der Konditorei? Trotz oder möglicherweise gerade wegen der Falten im sonnenverbrannten Gesicht fällt es Trixi schwer, sein Alter zu schätzen. Vielleicht ist er älter als es scheint und gut in Form, oder aber jünger und durch andauernde Überforderung vorzeitig gealtert. Diese Kalkulation ist alles, was sein Anblick zu bieten hat, und Trixi hofft, ungestört weiterlesen und Tee trinken zu können.
Schach bestellt einen doppelten Cognac, kaut seinen Kuchen und macht sich keine Gedanken darüber, welchen Eindruck die Leute von ihm gewinnen. Eingebildete Dozentinnen oder gezierte Kaffeehauskellnerinnen. Es ist ihm egal. Er kann nur mit sich selber dienen, und dies ist sein Fell. Die Legion hat ihm reichlich Narben verpasst, mehr noch übrigens in der Seele als im Leder. Die Welt ist schön, sinnt er trotzdem, auch wenn er dringend Geld braucht – einen winzigen Bruchteil nur der Beträge, die Tag um Tag alleine für das Polieren der schwarz glänzenden
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