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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
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Schnittwunden inklusive.
    Später zieht Trixi, in Strapsen vor dem Spiegel stehend, mit gekreuzten Armen ihren langen Hauspullover über den Kopf. Walter ist aus der Wohnung, und Bob liegt auf dem Sessel, er blinzelt hinüber, weil er ahnt, was sie vorhat, wenn sie so herumhampelt.
    Sie will in der Universitätsbibliothek einige Bücher abholen, die das geistige Umfeld Richard Lindners beleuchten.
    Im Schaufenster eines Schuhgeschäfts stehen auffällig gemusterte Stiefel. Sie bleibt stehen. Interessant, wie die Schuppen der Schlangenhaut sich am Umschlag spreizen. Ob diese Stiefel Walter gefallen würden? Was geht nur in ihm vor? Früher haben sie über die Grenzen ihrer unterschiedlichen Welten hinweg Anteil genommen an dem, was der andere tut und fühlt. Wann in den letzten Wochen ist er auf ihre Arbeit anders als floskelhaft und gleichgültig zu sprechen gekommen? Richard Lindner scheint für ihn bloß irgendein Name zu sein. Es ist besser, gar nicht erst darüber nachzudenken, sonst kommt ihr zu Bewusstsein, wie unerhört kränkend seine Ignoranz ist. Gibt sie zu verstehen, dass sich auf diese Weise Probleme zwischen ihnen anhäufen, die wieder abzutragen nicht leicht werden kann, falls ihm daran noch einmal gelegen sein sollte, lenkt Walter die Aufmerksamkeit sofort auf andere Themen. Und worum immer es sich dabei handelt, auf kürzestem Weg landet er wieder bei seiner eigenen Person und der schwierigen Geschäftslage.
    Das Aroma ausgereiften Mülls entströmt den überfüllten Tonnen. Wann hat er eigentlich angefangen, nur noch zu jammern? Was ist aus dem phantasievollen Mann geworden, in den sie sich einmal verliebt hat, weil er so anders war? Der ihr Leben und seinen Beruf auseinanderzuhalten wusste, jedenfalls zu der Zeit, als er noch Ingenieur war – und nebenher voller Begeisterung für die entlegensten Dinge. Sie dürfe von ihm einfach nicht mehr verlangen, als er derzeit zu geben imstand sei, lautet inzwischen sein immer neu variiertes Lamento. Und wenn sie ihn dann fragt, was sie damit anfangen soll, schweigt er. Vielleicht unterhält er sich mit seiner Bohnenstange weniger verkrampft, wenn sie zusammen am Schaufenster vorbeibummeln. Die Straßen leuchten stinkend in der Herbstsonne.

Attacke
    Das Plexiglasschild mit dem Schriftzug Zabel und Freunde vor dem Haus schillert in unerklärlichen Farben. Imponierend sieht das aus, wenn sich auch in den Ecken der Gravur Verschmutzungen abgesetzt haben – wie Schach sofort registriert, der mehr als eine Generation von Rekruten dazu gebracht hat, von sich aus Sorge zu tragen, dass die Messingtafel, auf der die Inschrift Drittes Infanterieregiment verriet, um wen es sich da handelte im kochenden Schlamm Guayanas, niemals vom Schatten des Schattens eines Schmutzes entehrt wurde. Man lehrt sie das am besten, fand er heraus, indem man ihnen luxuriöse Putzhilfen wie Reinigungsmilch, Lappen oder gar Bürsten vorenthält und sie stattdessen auf das verweist, was die Natur ihnen unmittelbar in Gestalt der Finger und der Zunge zur Verfügung stellt. Dann sind Liederlichkeiten wie diese grauen Staubecken in den bunt changierenden Buchstaben hier von vorneherein ausgeschlossen. Vielleicht findet sich Gelegenheit, Tomm, der offensichtlich nicht die Gabe der Menschenführung besitzt, in dieser Richtung zu beraten. Weit dehnen sich die Felder vor ihm aus, die zu beackern Schach bereit ist. Er schellt, das Türschloss summt, und seine Füße stapfen die Marmorstufen hinauf: Attacke! Nur die Slipper sind unpassend. Sein Blick geht hinab zu den nougatbraunen Sommerschuhen an seinen Füßen, und er fragt sich, welcher Teufel ihn geritten hat, vor der Abreise noch das verschlafene Schuhgeschäft in Clichy zu betreten, um gerade dieses Paar unschöner Schuhe aus der Auslage zu kaufen. Oben tut sich die glanzlackierte Tür auf, und Cora Hagens Schemen wischt vorbei, die ein »Bitteschön« hinter sich herzieht, bevor sie in einem Zimmer verschwindet, ohne weiter darauf zu achten, wer es denn überhaupt ist, der dort in der Tür steht.
    Beide Flügel des hohen Eingangs sind weit geöffnet, im Entree eine Art Rezeption, aber keine Menschenseele. Schach geht unsicher hinein, in den linken von zwei Gängen, und fragt sich, wen er denn da verblüffen soll, um nicht gleich abgewiesen zu werden. In diesem Flur ist niemand. Hinter Türen sind Stimmen zu hören – er passiert eine Reihe davon. Plötzlich geht ganz am Ende des Gangs eine auf, es rauscht, jemand löscht das Licht,

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