Alles Zirkus
bevor er sie hinter sich schließt, die Wasserspülung wird leiser. Ein Mann mit langem, zurückgekämmtem rotem Haar in einem grauen Polohemd, drei, vier Meter entfernt, sieht ihm direkt ins Gesicht: »Wer sind Sie? Was wünschen Sie?«, fragt Walter.
Der Mann ist dreizehn Jahre älter als bei ihrer ersten Begegnung und inzwischen anders frisiert.
»Herr Tomm, Diplom-Ingenieur Tomm? Sie erinnern sich bestimmt. Kourou! Sergent Schach von der Legion. Fällt der Groschen? Der missratene Start der Ariane Fünf-Null-Eins, wir haben ein paar Glas Bier zusammen getrunken und uns so gut verstanden, dass ich Ihnen versprechen musste, mich ja zu melden, wenn ich in die Gegend käme. Hat ein bisschen gedauert, aber hier bin ich also. Hallo, mein Freund.«
Den Freund hat er spontan hinzugesetzt, er hätte sich das vielleicht sparen sollen, geht es ihm durch den Kopf, aber nun ist es auch egal. Walter lächelt verständnislos und überlegt, wie er den Mann hinausbekommen kann. Aber Schach hat schon die alte Visitenkarte aus dem Portemonnaie genommen und geht auf ihn zu. »Ist ja auch schon länger her, Herr Ingenieur, trotzdem habe ich es nicht vergessen, und da ich ohnehin in der Gegend zu tun habe …«, lügt er. »Wissen Sie – ich stehe zu dem, was ich verspreche.«
»Tja, ich bin sehr beschäftigt …«
»Wir müssten wieder mal zusammen ein Bier trinken oder so, dachte ich«, sagt Schach, als könne er Gedanken lesen, »für ein kühles Glas und einen guten Joke findet sich doch eigentlich immer Zeit, oder nicht?«
Joke? Walter sieht ihn scharf an. Wen hat er da vor sich? Wie kommt er gerade auf so etwas? Hat am Ende dieser Kerl hier etwas mit dem Schlamassel zu tun, in dem er steckt? So wie der sein Büro ausfindig gemacht hat und nun aus dem Nichts auftaucht, so kann er sich auch seine E-Mail-Adresse verschafft und den Zirkuswarenhändlern zugespielt haben, die ihn seit einiger Zeit mit ihren unappetitlichen Spaßmacher-Angeboten belästigen. Vielleicht will er ihm ja selbst was andrehen, weiß man denn, welcher Tricks solche Leute sich unterdessen bedienen? Walter erinnert sich an keinen Soldaten, mit dem er in Südamerika etwas getrunken haben soll. Ein starkes Stück. Da besitzt einer die Frechheit und nimmt eine floskelhafte Einladung, die man irgendwann einmal ausgesprochen hat, zum Anlass, einem nachzuspionieren. Wer hat ihn überhaupt hereingelassen? Da hilft nichts, er muss herausbekommen, ob ihm dieser Mann hier Schwierigkeiten machen kann. Also teilt er Schach mit, in welcher Pizzeria sie sich am Abend treffen werden.
Ein falsches Rot
Der Lehrling hat ihr gesagt, im Büro – er meinte das Kabuff, in dem Kupka die Rechnungen schreibt – liege ein Paket für sie. Aus Paris, wie Trixi gleich sieht. Oben zeigt sich, dass es einen Ordner mit aufgelisteten Archivbeständen und eine DVD mit Filmmaterial enthält. Sie macht sich einen Kaffee und schließt das Fenster. Kupkas Stimme dringt herauf, er steht auf der Ladefläche des Lastwagens und klärt seine Leute schon wieder umständlich darüber auf, auf welche Weise der Wagen zu beladen sei.
Die ersten Sequenzen des Films, den man ihr kopiert hat, sind in einem Museum aufgenommen und zeigen verschiedene Gemälde. Sie kennt alle genau von Abbildungen und braucht nur einen Blick. Viel mehr ist auch nicht möglich, die Aufnahmen sind so rasant aneinandergeschnitten, dass sie einen stakkatohaft rhythmisierten Basiseindruck von moderner Kunst, Tempo und Lebenszugewandtheit geben sollen. Dann ist das Atelier in Manhattan zu sehen. Der zarte Mann von gut sechzig steht malend vor einer ihn deutlich überragenden Leinwand an einer Wandhalterung, die ihm die Staffelei zu ersetzen scheint. Violett der Umriss eines pfeiferauchenden Mannes mit Hut vor dem stilisierten Oberkörper einer nackten Frau. Trixi weiß, um welches Bild es sich handelt – es trägt den Titel Circus-Circus . In der Linken hält Lindner seinen Malstock, er beugt sich über einen Tisch, auf dem die Farben und die Pinsel bereitstehen. Klare, helle Sachlichkeit – ein Schwenk durchs Atelier bis ans Fenster, in Nebel oder Wolken die Hochhäuser des Blocks gegenüber. Durch die Straßenschlucht wälzt sich Verkehr, Motorenlärm, Hupen und Polizeisirenen steigen herauf. Trixi greift nach ihrem Notizbuch, sie muss festhalten, welche Szenen später für ihren eigenen Film in Frage kommen.
Zwei Maltische – weißlackierte Eisenkonstruktionen auf Rädern, um sie während der Arbeit
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