Alles Zirkus
Trixi verlangt?
»Auch Sie, Herr Walter Tomm, müssen die günstigen Großhandelspreise unseres beispiellos reichhaltigen Sortiments an hochwertigem Narrenbedarf kennen, mit dem wir uns ausschließlich an professionelle Künstler wie Sie richten.«
Er löscht die Nachricht, schaltet den Computer aus, reibt sich die Augen, greift nach dem Tweedjackett und geht auf die Straße. In tiefen Zügen nimmt er die kalte Luft zu sich wie ein köstliches Getränk. Die Japaner, hat Trixis durstiger Kameramann Pavol Schuster jüngst bei der Übergabe eines neuen Großkontingents Zigaretten, die er ihr aus Bratislava mitgebracht hatte, mit Kennermiene ausgeführt, die Japaner sagen trinken für rauchen: Den Rauch trinken. Trixi gefällt das eine wie das andere, und was davon wie heißt, ist ihr wahrscheinlich nicht so wichtig.
Im Eingang zu einer grausteinernen Passage steht ein junger Mann und schlägt auf die Seiten seiner Gitarre ein. Dass er dazu singt, ist mehr zu sehen als zu hören. Vielleicht greifen Weißclowns die Lebensfreude noch stärker an, wenn man das Pech hat, einem zu begegnen, aber dazu muss man in den Zirkus. Hinter den Fenstern im ersten Stock eines Geschäftshauses aus Sandstein und Glas kämpfen buntgekleidete Sportler verbissen gegen allerlei monströse Maschinen. Der Kontrast zwischen ihrer fröhlichen Aufmachung und der verzweifelten Sturheit ihrer Bewegungen muntert Walter für einen Moment auf. Er nähert sich den Fenstern von Zigarren Rudolph . Selten kann er vorbeigehen, ohne wenigstens einen Blick hineinzuwerfen, auch wenn er im Gegensatz zu Mirko gar keine Verwendung für all die verschiedenen Tabakwaren hat, die dort ausgebreitet sind. Einige Schritte um die Ecke, im anderen Ausstellungsfenster, liegen Pfeifen aus Holz oder aus Meerschaum. Von alledem geht eine unaufgeregte Freundlichkeit aus, selbst wenn sich Walter aus seiner Studienzeit daran erinnert, dass gerade Pfeifenrauch nichts von der gemütlichen Weichheit aufweist, die man sich vorstellt, wenn man nur seinen Duft schnuppert. In Wahrheit verwandelt er den Mund schnellstens in eine glühende Höhle. Trotzdem versenkt Walter sich nur zu gerne in all das Zeug da, das er so gar nicht brauchen kann. Zweckfreiheit strahlt etwas Verlässliches aus. Es ist ja wohl ein einigermaßen harmloses Vergnügen, sich als Nichtraucher Zigarren anzusehen, niemand kann dagegen Einwände erheben.
Trixi will eben noch ein Paket zur Post bringen und dann irgendwo rasch etwas essen; viel nimmt sie mittags nie zu sich, das macht nur müde. Erst wollte sie in ein Delikatessengeschäft gehen, wo einige Tische bereitstehen, an denen geschäftige Leute rasch und ohne viel Trara eine Quiche oder etwas Aal mit einem Glas Wein oder Wasser verzehren können, dann aber zieht sie doch vor, sich ins Café zu setzen, für ein Stück Kuchen und AssamTee. Sie wundert sich nicht schlecht, vor Zigarren Rudolph den Rücken ihres Mannes zu sehen, der doch gerade erst abgelehnt hat, sie zu treffen, weil die angespannte Lage im Büro verbiete, dass er seinen Platz auch nur für wenige Minuten verlässt. Das andere Fenster wird von einer Frau inspiziert, die Trixi noch nie gesehen hat. Die beiden stehen offenbar zusammen dort.
Ohne sich bemerkbar zu machen, geht sie weiter.
Schach
Der Besucher
René Schach hat Hunger. Nach der unbequemen Übernachtung zwischen Gestrandeten aller Couleur ist er den ganzen Vormittag über durch die Stadt gezogen, und jetzt meldet sich neben dem leeren Magen auch die Müdigkeit. Gleich will er sich irgendein Lokal aussuchen. Nur erst noch einen Augenblick sitzen, bevor er wieder loszieht – am besten auf der Bank dort unter den Kastanien. Seine Augen tun sich schwer mit dem blendenden Licht, die Sonne ist hervorgekommen und hat den stumpfgrauen Herbstmorgen in ein grelles Farbspektakel aus welkenden Baumkronen verwandelt, das den Indianern am Approuague bestimmt auch nicht schlechter gefallen würde als Cayenneschoten und Papageienschwänze. An seinem Problem ändert das nichts: Das Konto ist leergeräumt, jetzt hat er dringend für Nachschub zu sorgen. In der Hand hält er eine abgeschabte Visitenkarte, Dipl.-Ing. Walter Tomm steht darauf. Tomms einstiger Arbeitgeber in München hat ihm verraten, wo er jetzt zu finden sei. Den Rest hat Schach durchgestrichen und selbst die neue Adresse unter den Namen auf das kleine Stück Karton gekritzelt, das so krumm ist wie sein durchgesessenes Portemonnaie. Reduktion auf den Kern – so etwas bringt
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