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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
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Runde gemacht, denn es meldet sich das Zirkusmuseum mit der Frage, ob er dem Verein der Freunde und Förderer auch im folgenden Jahr treu zu bleiben gedenke. Es gibt nicht einen einzigen Verein, dem er angehörte, und für diesen interessiert er sich ganz besonders nicht. Als er ihr das sagt, antwortet die Frau am anderen Apparat, das sei aber bedauerlich, so als hätte sie gar nicht verstanden, was er ihr gerade erklärt hat – unter anderem dass er keineswegs der ist, für den sie ihn hält.
    Angefangen hat es damit, dass er unbedingt dem Drängen dieses Mathematikprofessors nachgeben musste. Hätte er doch wenigstens den Brief, mit dem man ihn übertölpelte, nicht fortgeworfen. Trixi glaubt ihm einfach nicht. Sie misstraut ihm. Das ist neu zwischen ihnen beiden, aber so verhält es sich, er spürt das, auch wenn über diese belanglose Sache selbst unterdessen Gras gewachsen ist. Vorhin, mit ihrem Anruf, hat sie ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Er sitzt hier nicht locker und fidel herum, sondern trägt Verantwortung auf den Schultern. Es geht über seine Kraft, auf Kommando und in dieser Geschwindigkeit ins Privatleben umzuschalten. Noch nie hat er seinen Beruf und Trixi miteinander verquirlt. Wenn er nicht die Gelegenheit erhält, sich vorzubereiten, den Büroärger abzuschütteln, ehe er ihr gegenübertritt, gerät alles heillos durcheinander.
    Er hat Trixi nicht gleich ins Bild gesetzt, als sie ihn überraschend im Mathematischen Institut anrief – das bestreitet er ja gar nicht. Überflüssigerweise hat er ihr etwas vorgemacht, um zu verbergen, was überhaupt nicht verborgen zu werden brauchte. Was aber ist der Grund? Trixis tief verwurzeltes Misstrauen. Damit schafft sie es, die Schimäre einer Unsicherheit zu etablieren, wo sie eigentlich gar nicht vorhanden ist. Sie weiß, wie leicht er aus dem Gleichgewicht zu bringen ist. Trixi kann eine glatte Unverbindlichkeit ausstrahlen, die ihn als sentimentalen Idioten dastehen lässt. Zweifel an ihrer Selbstgewissheit lässt sie nicht zu, ist aber überzeugt, ihn bis auf den Grund zu durchschauen. Unter ihrem argwöhnischen – oder manchmal einfach auch nur ängstlichen – Blick allerdings ändert sich die Wirklichkeit. Die büßt dann im Handumdrehen jede innere Logik ein. Und plötzlich ist überhaupt nichts mehr unmöglich, nur weil es eigentlich nicht möglich ist.

Lemminge
    Bei der Bürgerrechtsbewegung sind sie begeistert von den ersten Entwürfen der Imagekampagne. Zunächst geht es Walter darum, das Vertrauen dieser Auftraggeber zu gewinnen. Was dann weiter mit ihnen geschieht, bekommen sie gar nicht mit – oder erst, wenn es zu spät ist. Er hat es vorgezogen, Trixi gegenüber diese Sache nicht zu erwähnen, ihr fehlt der Sinn für ein doppelbödiges Spiel, wie es ihm vorschwebt. Schon das, was die Agentur sonst tut, nennt sie manipulativ, wenn sie schlecht gelaunt ist. Dass auch sie selbst mit ihren Filmen Denken und Gefühle der Zuschauer beeinflusst (eben dies auch ansteuert), kann sie kaum bestreiten. Bloß weil er sich dabei anderer Mittel bedient als sie, ist ihr nicht erlaubt, ihm mit Hochmut zu begegnen. Und ebenso wenig, weil er damit Geld macht, statt zuzubuttern. Aber sie glaubt, dass es eine obere Etage und einen Keller gibt, und sein Platz ist unten bei den Kohlen.
    Walter respektiert übrigens den Freiraum, den sie natürlich benötigt, um neue Ideen zu entwickeln, verlangt auch nicht in jedem Augenblick Auskunft über alles, was dabei in ihr vorgeht. Weil er ihr vertraut. Aber das ist ja kein Naturgesetz. Er kann sie demnächst auch einmal überraschen, ausquetschen und in Verlegenheit bringen. Auch er kann Lappalien zum monströsen Folterwerkzeug umschmieden. Aber was für ein Auftrag: Er fühlt sich nicht überfordert, sondern stimuliert davon, dass in der Wirklichkeit nicht alles immer sauber sortiert ist. Widersprüche, manchmal furchtbare Widersprüche – opulente Henkersmahlzeiten etwa, Nagetiere, die massenhaft vom Klippenrand ins Nichts springen, Sympathiegefühle der Opfer für ihre Geiselnehmer –, können einen irritieren, ja verstören, aber ihre Wahrheit gibt dem, der sie aushält, das Gefühl, am Leben zu sein. Gewissheit gibt es dann nicht, man kann sich nur um Wahrscheinlichkeit bemühen. Eine hauchdünne Membran bloß trennt das Leben vom Chaos, dem in sinnloser Zerstörungswut schäumenden, finster schwappenden endlosen Meer drumherum, und wo soll er da die absolute Sicherheit verankern, nach der es

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