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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
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Prunkautos anfallen, in denen der Präsident und seine Minister die Champs-Élysées rauf und runter kutschiert werden. Einmal hat Schach neben einem Chauffeur am Tresen gestanden und ein paar Gläser Calvados getrunken. Der hat ihm die Augen geöffnet, wieviel hochbezahltes Personal bloß mit Abledern beschäftigt ist. Natürlich ist auch das nicht reiner Selbstzweck, weil so etwas eine Rolle spielt, wenn es keinen Fleck auf dem Erdball gibt, dessen Pracht und Glorienschein es aufnehmen könnte mit Paris! Er darf mit Stolz von sich sagen, eine Reihe wunderbarer Jahre in dieser Metropole verbracht zu haben. Und nun öffnet er sich gerne für Neues. Das einzige, was er nicht erträgt, ist Stillstand.
    Verdammt angenehm zu leben, alles andere ist Zweckpropaganda, steht für ihn fest. Sogar bei der Legion war es im Rückblick trotz allem nicht übel. Sie brachte einem vielleicht mehr bei als Oxford: Wer man ist und was man aushält nämlich. In den Köpfen der desinformierten Bevölkerung aber, gerade hier in Deutschland, halten sich traute Ammenmärchen von finsteren Kaschemmen, in denen Schlepper betrunkene Galgenvögel einsammeln, die erst viel später begreifen, wo sie die nächsten Jahre zubringen werden. Der Legionär entzündet die Zigarette, die er nach Beendigung der Mahlzeit aus dunklem Tabak gerade selbst frisch gefertigt hat, und atmet den saftigen Rauch tief ein. Gleich kommt die Serviererin herbeigelaufen und erklärt ihm bestimmt, das Rauchverbot gelte auch für ihn. Er zahlt, verzichtet aber auf Trinkgeld, und verlässt den Laden. Und dann ist ihm klar, wie er es anstellen muss, nicht schon an der Pforte abgewiesen zu werden, wenn er mit seinem alten Bekannten Walter Tomm in Kontakt zu treten vorhat. Gleich morgen.

Schlangenhaut
    Wann Walter dazu übergegangen ist, das austretende Blut als Klebstoff zu verwenden, um das Toilettenpapier in seinem Gesicht zu befestigen, weiß Trixi nicht mehr.
    Inzwischen ist sie dahintergekommen, dass es sich nicht um eine Ungeschicklichkeit handelt, sondern um die Realisierung einer seltsamen Idee von Schönheit.
    Sie hat von Gerbers Produktionsleiterin erfahren, wie verbreitet dieser Brauch ist. Monikas Freund macht nämlich dasselbe – wenn auch nicht so oft wie Walter, der sich fast jeden Tag einen Schnitt verpasst. Bemerkenswerterweise hat Walters Sekretärin sich noch nie mit einem Freund sehen lassen. Und jetzt hantiert ein Mensch, der sich schon mit einem vielfach gesicherten Patentnassrasierer regelmäßig verletzt hat, jeden Morgen an seiner Gurgel ungeschützt mit dem schärfsten aller Messer herum.
    Walter bemerkt, wieviel von Trixis Gereiztheit in der Luft liegt. Sein rechter Schuh baumelt am erhobenen großen Zeh vom übergeschlagenen Bein hinab, wippend im Rhythmus des inneren Zitterns, über das Walter nicht spricht. Dinge laufen aufeinander zu, die in einer einigermaßen vernunftbestimmten Tatsachenwelt nicht einmal in großem Abstand gleichzeitig vorhanden sein dürften. Ihm ist, als hätte ein verrückter Romancier Kapitel aus mehreren Erzählungen durcheinandergeworfen und den ganzen Salat dann zwischen zwei Deckel binden lassen. Auf dem Umschlag steht, wie das Werk heißt: Erstes bis letztes Buch Walter . Mit Wehmut erinnert er sich an jene surrealistische Konzeption der Vollkommenheit, die sich nach Lautréamonts Ansicht nämlich durch »das zufällige Zusammentreffen eines Regenschirms und einer Nähmaschine auf einem Seziertisch« ergibt. Sein Leben führt den Beweis, dass nicht der Zufall soeben einmal dafür sorgt, sondern es zwingend so sein muss: Regenschirm und Nähmaschine gehören unabweisbar zusammen, und zwar auf einem Seziertisch!
    Trixi raucht und blickt mit der Zigarette im Mund aus dem Fenster in den Morgen. Sie bläst den Qualm in Richtung der Glasscheibe aus, die ihn daran hindert, im Nebel draußen aufzugehen. Hier drinnen tut Walter so verzweifelt, als stände alles kurz vor dem Untergang. Außerhalb der Wohnung sorgt er dann umso entschiedener für seine Unterhaltung. Vielleicht kann er sich wunderbar ausleben in seinen Kampagnen für Leberwurst und Socken. Bestimmt geht es am Konferenztisch der Werbeagenturen, die sich rund um den Globus mit Ideen bombardieren, viel gemütlicher zu, als dieser Mann am Tisch ihr gegenüber jemals zugeben würde, der jetzt sein Frühstück anstarrt wie eine Henkersmahlzeit – alles Zirkus. Er trägt bestens für sein Behagen Sorge und duldet in seinem Leben nur, was ihm gefällt,

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