Alles Zirkus
jederzeit in eine praktische Position ziehen zu können. Öle, Malmittel und Fixative in Flaschen und Dosen, eingedrückte und verbogene Farbtuben. Der Künstler mischt neue Farbe direkt auf der Tischplatte zwischen Gläsern voller Pinsel an, und dann wendet er sich wieder seiner Leinwand zu.
Alles wird bestimmt von den technischen Anforderungen der Arbeit – des Malens großer Tafelbilder im New York des Jahres 1973 . So sieht es aus, bis die Kamera auch die anderen Bereiche im Hintergrund des Raums zeigt: eine Anhäufung von zeichenhaften Gegenständen, die Lindner an Deutschland erinnern, an die Welt, der er entstammt, deren Geheimnisse ihn genährt und zu vernichten gesucht haben. Der Brummkreisel liegt da herum zwischen Puppen aus Nürnberg, das Foto eines fauchenden Leoparden hängt neben dem Blick aus Hitlers Augen. Masken und märchenhafte Instrumente.
»Ich war in München damals oft mit Karl Valentin zusammen, habe auch Zeichnungen zu seiner Autobiographie gemacht – Valentin war das deutsche Genie. Der Picasso der Deutschen. Er war soviel wie Picasso. Er hat alles selbst gemacht«, hört sie den Maler, immer noch leicht fränkisch klingend, sagen.
Ein anderer Mann aus dem Off: »Wenn du nur die Wahl hättest zwischen der Existenz des Hofmalers, bei den Gonzagas in Mantua oder irgendwo in Oberitalien, oder eines Führers einer avantgardistischen Kunst-Revolution, was würdest du wählen?«
»Eine gute Frage. Ich will dir die Antwort sagen, in einer anderen Form. Wenn ich die Légion d’honneur bekomme oder die Rosette, würde ich sie gerne tragen, trau mich aber nicht, weil ich ein Maler bin. Das ist eigentlich die Antwort.«
»Ja, aber die Maler des Salons waren begeisterte …«
»Ich bin das aber eben nicht … Verstehst du, das ist eigentlich die Antwort, dass auch Duchamp gerne die Rosette getragen hätte, wenn er gekonnt hätte.«
»Ich versteh …«
»Das ist die Antwort. Wir sind also alle doppelt, wir sind beides, wir wollen Avantgardisten sein, wir wollen aber auch der große Bourgeois sein. Ich hab auch einen Orden. Ich bin Mitglied der Amerikanischen Academy of Arts and Letters, das ist so eine Imitation von der Académie Française, wo viele Franzosen auch drin sind. Ich hab sie einmal angezogen – im Spiegel – und ich bin erschrocken, da siehst du sofort zehn Jahre älter aus, mit einer Dekoration. Wenn du jung bist, kriegst du sie nicht, wenn du alt bist, kannst du sie nicht tragen, denn sie macht sehr alt.«
»Also überspitzt ironisch formuliert: ›Der baronisierte Dadaist‹?«
»Ist es Ironie oder ist es nicht wirklich die Wahrheit? Ich bin überhaupt sehr verwirrt. Ich bin ja ein alter Mann, und in Wirklichkeit bin ich ein junger Mann, das ist wahr, also nicht nur ein junger Mann, ich bin auch ein Kind in vielen Dingen, mehr oder weniger, auf der Stufe eines Zwölf- oder Dreizehnjährigen. Alles, was Unsinn ist, interessiert mich, seriös. Ich tu genau dasselbe, was ich ganz klein gemacht hab, dieselben Fehler, dieselben Mistakes, alles dasselbe, nichts ändert sich. Natürlich noch ausgeprägter.«
»Was war der letzte Fehler?«
Lindner zeigte auf sein Bild. »Ich hab ein Rot benützt, das ein transparentes Rot ist. Ich hab einen ganzen Tag gebraucht, um die Farbe wieder runterzunehmen.«
Während des Dialogs schwenkt die Kamera vom malenden Mann fort und fährt dann in einer einzigen langen Einstellung das Atelier ab, wo auch die Sammlung besonders minimalisierter, zu den Proportionen seiner feingliedrigen Gestalt passender Tabakspfeifen parat liegt. Sonderanfertigungen der britischen Firma Dunhill . Daneben das Foto des Mannes, den Lindner den »österreichischen Dienstmädchen-Schatz aus dem Café Heck« nannte, schwarzgekleidet mit der Reitpeitsche, dem Künstlerhut und dem rechteckigen Bart auf der Oberlippe.
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