Alles Zirkus
interessieren – Grafiker. Die überarbeitete Karo -Packung zum Beispiel, ist vielleicht bekannt. Wir sind also irgendwie Kollegen, wenn ich so sagen darf.«
»Und als sich die Grenzen dann öffneten, sind Sie gleich zur Fremdenlegion?«
»Die Legion ist immer vorne, gleich wo die Franzosen sich einmischen, und Kugeln fliegen dann schon durch die Luft – aber nicht zu Lasten Unschuldiger, das möchte ich betonen!«
Die Wörter kommen etwas verwaschen aus seinem Mund. Walter beginnt auch, den Rotwein zu spüren. Am besten lässt er den Mann möglichst viel plappern. Nur keinen Argwohn wecken: »Wie wird man denn eigentlich Legionär?«
»Zum Empfang nimmt man dir erst einmal alles ab, was an dein vorheriges Leben erinnert. Auch die Kleider. Du wirst in einen möglichst vergammelten Kampfanzug gesteckt – Erniedrigung, darum geht’s. Gleich fangen sie an, dir Französisch beizubringen, damit du die Beleidigungen auch verstehst, mit denen sie dich eindecken. Jetzt nehmen sie dich unter die Lupe: körperlich, geistig, nervlich. Quetschen dich bis zum letzten Tropfen aus, um zu sehen, ob du nicht ein Sicherheitsrisiko darstellst, am Ende womöglich ein pazifistischer Agent bist, der herumschnüffeln will. Zwischen den Untersuchungen und Verhören lassen sie dich immer wieder die Klosetts putzen und den Hof rauf und runter kehren.«
Er nimmt einen Schluck, dann noch zwei.
»Wenn du das hinter dir hast, kannst du dir einen neuen Namen aussuchen. Falls einer nach dir fragt und die alte Identität nennt, sei er von der Kripo oder der Steuerfahndung, kriegt er zur Antwort: Den gibt’s hier nicht. Klar bist du noch der Alte – aber die haben die Macht, es trotzdem so zu drehen als ob, kapierst du? Außerdem, und das ist für manchen nicht das Uninteressanteste, giltst du als ledig, selbst wenn zu Hause vielleicht deine Frau wartet, dass du vom Zigarettenautomaten zurückkommst.«
Walter sieht ihn an, sagt aber nichts.
»Bist du schließlich angenommen«, spricht Schach mit schwerer Zunge weiter, »unterschreibst du einen Fünfjahresvertrag, weniger geht nicht. Und danach, lieber Herr Werbeleiter Ingenieur Tomm, ist man verraten und verkauft, wie ich schon sagte.«
Walter ist es immer mehr, als träume er diesen Mann und die Geschichten, die er zu erzählen hat. Es kann sich dabei doch nicht um Wirklichkeit handeln. Bücher, die er als Junge las und längst vergessen zu haben glaubte, Geschichten voller Urwälder und menschlicher Kampfmaschinen, kommen von ganz hinten in seinem Kopf hervor, um übertrumpft zu werden von dem, was er da hört, inklusive Phantasienamen und mehrfacher Identitäten.
»Ganz ohne Geld geht es leider nicht, Herr Tomm, ich weiß nicht, ob Sie das Problem kennen. Eine Pension zahlt einem die Legion erst nach fünfzehn Jahren. Aber schon nach sieben ist es nicht so einfach, wieder Anschluss zu finden. Die Heimat hat sich unterdessen auch verändert. Und das Legionärsdasein, die Tropen, das alles lässt einen nicht gerade fester im Leben stehen. Danach hat man nämlich nichts mehr – außer der eigenen Nase.«
Tomm nimmt einen Schluck Wein. »So wenig ist das nun nicht, wie Sie tun. Trotzdem: Sie haben es also ein bisschen schwer, verstehe ich.«
»Und somit dachte ich, ein Geschäftsmann wie Sie, Monsieur Tomm, der eine verantwortliche Position ausfüllt, hat bestimmt auch für einen vielseitig präparierten Mitarbeiter, einen welterfahrenen, polyglotten Grafiker wie mich, Verwendung in seiner Firma.«
Walter hört nicht mehr zu, er winkt den Kellner heran und zahlt. Dieses Spiel zu durchschauen hat eine Weile gedauert, aber nun liegen die Karten auf dem Tisch: Der Gauner hier hat ihn offenbar mit rätselhaften E-Mails überschwemmt, um ihn einzuschüchtern, zu verwirren, zu verunsichern – er verfolgt den grobschlächtigen Plan, ihm zuerst ein Problem an den Hals zu schaffen, um sodann als derjenige in Erscheinung zu treten, der geeignet ist, es zu lösen.
»Ich wünsche Ihnen für die Zukunft mehr Glück«, sagt Walter erleichtert, »wann reisen Sie ab?«
René Schach hat schon begriffen, dass es heute zu einer Anstellung offenbar nicht mehr kommen wird. Als er wieder aufsieht und Walter zum Abschied die Hand geben will, ist der bereits auf dem Weg zur Tür. Schnell steckt er seinen Tabak ein und macht, dass er hinterherkommt.
»Einen Moment noch bitte, Herr Tomm. Sie sind doch Herr Tomm?«
Walter stutzt. Was soll das jetzt wieder heißen? Der Bursche weiß doch genau, mit
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