Alles Zirkus
wem er spricht, schließlich hat er sich die Mühe gemacht, ihn ausfindig zu machen, um den Versuch zu unternehmen, ihn aufs Kreuz zu legen. »Was wollen Sie denn noch?«, fragt er gereizt.
»Wenn Sie der Herr Tomm sind, den ich meine, dann können Sie sich unmöglich so verändert haben.«
»Wie soll ich das verstehen? Ich will endlich nach Hause.«
»Wenn Sie noch derselbe sind, dann sind Sie keiner der aalglatten Manager, die heutzutage auftreten wie Gottvater und zum Vergnügen mit Menschenschicksalen spielen, als wären es Murmeln – bevor sie irgendwann selber auf ihre kalten Hundeschnauzen fliegen und feststellen, wie Dreck schmeckt.«
Schach leckt die Zigarette an, die er sich einhändig gedreht hat, und lässt das Feuerzeug mit gewaltiger Flamme auflodern.
»Sind Sie Herr Tomm, dann sind Sie kein Schwein. Heute sehen Sie sich nicht in der Lage, mir einen Job zu geben, was ich verstehe, aber woher wollen Sie wissen, dass sich das Bild nicht bald gründlich ändert? Und dann werden Sie froh sein, einen wie mich in Reserve zu haben. Generell lautet die Frage doch überall: Wem kann man eigentlich noch trauen? Und auf mich können Sie zählen, hundertprozentig, komme, was wolle. Sie sind jetzt müde – schlafen Sie ein paar Nächte drüber. Ein Mann in Ihrer Stellung hat immer genug am Hals, um das er sich kümmern müsste. Aber er kommt nicht dazu. Oder er kann es sich nicht erlauben, das so zu bereinigen, wie es sich eigentlich anbietet. Dann geben Sie René Schach einen kleinen Wink, und der erledigt das für Sie. Verstehen Sie nicht, Herr Tomm? Das Schicksal hat Ihnen einen Joker in die Hand gespielt damals in Kourou – und jetzt wieder. Das ist doch kein Zufall, wenn wir uns nach so langer Zeit wiederbegegnen, nehmen Sie Gift drauf.«
Wieso Joker? Dasselbe Wort, mit dem ihm auch dieser Mathematik-Maier zu verstehen gegeben hat, dass er mehr weiß, als er offenlegt. Vor allem aber als er eigentlich überhaupt wissen kann. Der Mann, den er aus zusammengekniffenen, ebenso wachsamen wie müden Augen da vor sich stehen sieht, macht einen erbarmungswürdigen Eindruck. »Kommen Sie«, sagt er kurz entschlossen, »ich nehme Sie ein Stück im Wagen mit. Was wollen Sie denn jetzt durch die Nacht laufen!«
Schach setzt sich auf den Beifahrersitz und saugt den eleganten Lederduft tief ein, der von den Polstern aufsteigt. Gerade hat er vor, die Zigarette hinauszuwerfen, ehe er die Tür schließt, als Walter ihm zu verstehen gibt, dass es reicht, wenn er das Fenster etwas geöffnet hält: »Meine Frau raucht auch. Wo darf ich Sie absetzen, in welchem Hotel sind Sie abgestiegen?«
»Lassen Sie mich einfach irgendwo raus, wo es Ihnen am besten passt«, sagt Schach.
»Ich erkläre doch, dass ich Sie gerne bis zu Ihrem Hotel bringe, wenn wir schon einmal unterwegs sind. Also bitte!«
»Dann zur Bahnhofsmission.«
»Sie haben kein Hotelzimmer?«
»So etwas kann ich mir nicht mehr leisten. Was denken denn Sie?«
»Bahnhofsmission – also offengestanden muss ich da erst einmal nachdenken …«
»Sie hätten rechts abbiegen müssen«, sagt Schach an der übernächsten Kreuzung, »da war ein Schild. Dafür dass Sie hier leben, kennen Sie sich aber nicht besonders aus, oder?«
»Passen Sie auf«, erklärt Tomm, »wenn Sie wollen, können Sie erst einmal mit zu uns kommen. Das Gästezimmer ist frei, und für diese Nacht sind Sie dann untergebracht. Morgen können Sie weitersehen.«
»Auf keinen Fall. Also, vielen Dank, und das war es. Halten Sie doch einfach da vorne, wenn Sie sich genieren, mit Ihrem Schlitten beim Obdachlosenasyl vorzufahren.«
»Jetzt reden Sie nicht soviel«, sagt Walter, »Sie kommen mit zu uns, und basta!«
Zack!
»Das Gästezimmer, dort das Bad«, Walter holt aus dem Wandschrank ein paar Handtücher und Bettwäsche. Der Legionär behauptet zwar, er benötige das alles nicht, aber schon hat er auch eine Flasche Wasser mit einem Glas für die Nacht in die Hand bekommen. Trixi ist noch nicht zurück. Walter nimmt sich Milch aus dem Kühlschrank. Am Bahnhof sind sie doch noch vorbeigefahren, Schach musste sein Gepäck aus dem Schließfach holen. Viel hat er nicht dabei, nur eine Reisetasche und den altmodischen Campingbeutel, aus dem noch immer eine nicht ganz frische Ausgabe der kostenlosen französischen Zeitung 20 minutes hervorragte. Der Korridor knarrt, die Tür quietscht. Auf Walters Schoß sitzt der Kater und lässt sich die Ohren kraulen.
»Wo steckt Trixi so lange, mein
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