Alles Zirkus
Redakteur fragt, ob er rauchen darf. Sie weist auf ihre Zigaretten und schiebt den Aschenbecher in seine Richtung. Vor beiden steht eine große Tasse mit Kaffee, ein Teller mit etwas Gebäck, für den Fall, dass er nach der Bahnfahrt Hunger hat. Aber er stopft nur kurzatmig seine Pfeife, ein eckiges, hängendes Stück aus geriffeltem schwarzem Holz, die Spitze des Mundstücks hellgelb verkrustet, schaufelt mit geübten Fingern ohne hinzusehen den Tabak aus dem Beutel in den Pfeifenkopf hinüber und erklärt, dass er leider keinen Kuchen vertrage: nur noch ein Viertel Magen. Käsegebäck schon gar nicht. Geschwüre. All der Ärger mit Leuten, die voller unausgegorener Ideen zu ihm kommen und nur in monatelanger Kleinarbeit dazu gebracht werden können, herauszufinden, was sie eigentlich wollen. Falls es gelingt. Den anderen, die sich nicht auf ein konstruktives Miteinander einzustellen vermögen, klarzumachen, dass sie die ganze Sache vergessen müssen, dauert manchmal noch länger.
In Stößen bläst er durch die Nasenlöcher Rauch aus. Trixi riecht den Tabak gern. Wenn keine Zigarette in seinem Mundwinkel hing, hat ihr Vater auch Pfeife geraucht. Den Fotoapparat hielt er in der einen Hand und das qualmende Holz in der anderen. Sie ließ sich von ihm die leeren Early Morning Pipe- Dosen geben mit der gelb strahlenden Sonne und dem krähenden Hahn auf dem hellblau lackierten Blech. Zu kostbar erschienen sie ihr, was konnte man darin nicht alles unterbringen, das sonst wild herumflog. Aber was herumflog, waren nur die vielen Dosen, aus denen der aromatische Duft des Tabaks aufstieg, auch wenn sie längst leer waren, man brauchte nur den Deckel abzuschrauben.
»Es hat übrigens eine Weile gedauert, bis mir ganz bewusst wurde, wieviel Stoff sich hinter dem Namen Richard Lindner verbirgt«, versucht Trixi loszulegen.
Der Redakteur weist auf das Exposé, das er inzwischen aus dem Rucksack genommen hat und dessen Seiten voller Bleistiftanmerkungen sind. Was mag nur zu den vielen Strichen und Randnotizen geführt haben, fragt sie sich.
»Ich will nicht lange herumreden, Frau Ghedina. Es gibt gute Ansätze in Ihrem Entwurf, keine Frage. Und ich sage so etwas eigentlich nicht sehr oft. Ohne diese vier, fünf wirklich produktiven Ideen säßen wir jetzt gar nicht zusammen. Ich habe genug um die Ohren, und Ihnen fehlt es sicher auch nicht an Beschäftigung. Und genau das verführt einen dazu, um die eigene Achse zu rotieren – verstehen Sie? Der Bezug nach draußen fehlt. Rote und blaue und schwarze Filzstiftlinien, Zettel und Bildchen und viel farbiges Klebeband – all das tut so, als wäre da schon etwas. Ist es aber nicht. Ich vermisse die Meta-Ebene.«
Nach dieser kurzen Einleitung legt er eine Pause ein, nippt am Kaffee, um dann flach atmend einen ganzen Schwarm kleiner Rauchwölkchen auszustoßen wie eine anfahrende Dampflokomotive. Auch er nimmt wieder Fahrt auf: »Schauen wir einmal auf diese Idee mit der Nazizeit. Frau Ghedina, das wissen wir langsam, die Türen, die sie einrennen wollen, stehen hier bei uns in Deutschland – entschuldigen Sie – sperrangelweit offen, und nicht erst seit gestern.«
Trixi will einwenden, dass es sich um keine Idee dabei handelt, sondern um die Biographie des Künstlers. Aber schon spricht Knabe weiter: »Damit sind wir beim nächsten kritischen Punkt. Richard Lindner. Ein Maler – vielleicht ein guter, möglicherweise auch ein weniger guter.«
»Ich kann das unterscheiden, glaube ich.«
»Wir müssen immer versuchen, der Beliebigkeit subjektiver Urteile entgegenzuwirken.«
Trixi schaut ihre Hände an. Die Adern zeichnen sich deutlich ab. Knabe sagt nichts, auch sie schweigt, vom Hof dringt laut das Radio herauf. Obwohl sie sich eigentlich geschworen hat, eben das niemals zu tun, ist sie schon ein paar Zentimeter von ihrem Stuhl aufgestanden, um endlich einmal etwas Passendes aus dem Fenster hinunterzurufen und unmissverständlich mehr Ruhe zu erbitten.
Der Redakteur kommt ihr zuvor, indem er sie ansieht: »Als ich vorhin gekommen bin, bemerkte ich da unten zwei junge Leute, die irgendwie an der Arbeit waren«, er spricht mit leiser Stimme, stößt zahllose kleine Rauchwolken dabei aus. »Malocher. Ist ja ganz egal. Muss einem nur auffallen. Die hören Musik – ihre Musik. Und jetzt erkläre ich Ihnen, wie ich es sehe: Für die da unten haben wir unsere Filme zu machen, für niemanden sonst. Schon gar nicht für uns selber. Die haben ein Recht darauf, verstehen Sie?
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