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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
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sprechen. Wenn sie nur einmal über alles reden könnten, so wie früher, was bliebe übrig von all den Irritationen, die sich zwischen ihnen wichtig machen? Dieser blöde Brief zum Beispiel, über den sie sich zusammen schieflachen könnten. Der Brief. Der hat die Nadel aus der Rille tanzen lassen. Walter muss ihn Trixi unter die Nase halten: Und nun etwas mehr Vertrauen, wenn ich bitten darf!
    Nachrichten ziehen über den Computerbildschirm, eine unwichtiger als die andere; vielleicht ist er auch nur außerstande aufzunehmen, was sie bedeuten. Wenn Trixi etwas nicht mitbekommt, wie zum Beispiel die ökonomische Krise, die gerade der Welt die Gurgel zudrückt und ihn an seine Grenzen bringt, liegt es schlichtweg daran, dass sie sich einfach nicht stören lässt. Der Film über diesen Maler, den sie sich in den Kopf gesetzt hat, gibt sie ihr wieder, diese ganz erstaunliche Unabhängigkeit und Standfestigkeit. Walter weiß nicht viel über Richard Lindner. Was er aber wahrgenommen hat, erscheint ihm unattraktiv. Irgendwann wird sie ihm ihren Film vorführen – und er wird so etwas wie Stolz auf sie empfinden. Bis dahin ist es ihre Idee, ihr Stoff, aus dem er sich heraushält. In dieser Hinsicht ist sie nämlich (wenn man weiß, wie es zu machen ist) durchaus verletzbar. Deshalb würde er ihr nie auch nur andeutungsweise zu verstehen geben, welch traurigen Eindruck all die halbnaiven Darstellungen grotesk übertriebener Körperlichkeit auf ihn machen. Es ist für Walter überhaupt kein Rätsel, warum niemand bisher Interesse an dem Film gezeigt hat – aber auch das würde er sich Trixi gegenüber niemals erlauben anzudeuten. Umgekehrt macht sie deutlich weniger Umstände. Am Bildschirmrand wird eine frische E-Mail angezeigt:
»Neu eingetroffen:
Sonderposten Spritzfliegen, 100 Stück ab Lager 632 €, 500 Stück 3278 €, 1000 Stück 6763 €!!«
    Walter greift zum Telefon und erreicht ohne Umstand sofort Professor Maier. Er wird ihn aufsuchen, um über seine Darbietung zu sprechen. Dass er vorhat, bei dieser Gelegenheit eine Kopie des Briefs mitzunehmen, kündigt Walter noch nicht an. Vielleicht findet sich ein Weg, die Peinlichkeit zu begrenzen, wenn er die Bitte überraschend und nebenhin äußert.
    Er wählt die längere Strecke um den kleinen See herum. Ihm ist eingefallen, dass er Maier wohl irgendetwas präsentieren muss. Noch ist er nicht dazu gekommen, darüber nachzudenken, was er ihm überhaupt erzählen kann, um ihn in die Stimmung zu bringen, den Brief herauszurücken, und ihn glauben zu machen, dass bereits an der Performance des Clowns zur sensationellen Präsentation ihrer neuen Rechenformel gearbeitet wird – des Clowns, der die Lösung eines unbegreiflichen Landkartenproblems so zu verkaufen versteht, dass es wie eine Granate einschlägt und nicht als theoretische Randglosse eingeklemmt zwischen den Kolumnen einer Fachzeitschrift krepiert. Mit Getöse landen Enten quakend auf dem See. So ungefähr könnte er es ihm sagen, ohne zuviel in Einzelheiten gehen zu müssen. Im Kreis schwimmend sorgen die Vögel dafür, dass die Wasseroberfläche sich kräuselt und sein Spiegelbild zu tanzen beginnt. Ich soll das sein? Er wendet sich ab und geht zum Stadtzentrum zurück. An diesem Vormittag türmen sich an den Marktständen gelbgrünlich glänzende Riesenpampelmusen, für die sich niemand besonders zu interessieren scheint, auch wenn sich an jede Frucht ein rotes Netz schmiegt wie der Strumpf einer kambodschanischen Kokotte. Dem Söldner hätte das gefallen, denkt er, aber der ist Gott sei Dank nicht mehr da. Menschen branden auf ihn zu, ein junger Mann nähert sich mit einem Becher Kakao in der Hand und verschüttet ihn dann prompt über seiner karierten Hose. Fahrig klaubt der Tölpel fünf Euro »für die Reinigung« aus dem Portemonnaie, aber Walter zieht nur verächtlich einen Finger unter seiner Nasenspitze entlang. Im selben Augenblick schämt er sich dafür – das ist doch nicht mehr er.

Bleistift
    Tobias Knabe klingelt eine halbe Stunde später als verabredet. Ein schwerer Mann ächzt die schmale Treppe hinauf und stellt zunächst seinen Rucksack ab, bevor er Trixi die Hand reicht: »Immer aufschlussreich, mitzubekommen, wie es bei den Autoren aussieht. Gerber hat kräftig die Trommel gerührt für Ihr Projekt. Schade, dass er keine Zeit hat.«
    »Er hat heute Abend eine Premiere in Zürich.«
    Am Himmel draußen ziehen schwarze Wolken auf, die den Hof von oben her verschließen. Der

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