Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
dem Referendum ihre Stimme gegen den Erhalt der Sowjetunion abzugeben. Unaufhörlich wurden auf Flugblättern, Plakaten und in Radiosendungen die Appelle wiederholt, nicht an dem Referendum teilzunehmen oder mit »Nein« zu stimmen. Aber die neue Welle der politischen Streiks der Bergleute erreichte nicht das Ausmaß, auf das ihre Organisatoren spekuliert hatten.
Demonstration auf dem Manege-Platz, März 1991
Es gelang der Opposition nicht, das Referendum platzen zu lassen oder eine Mehrheit von Stimmen gegen die Union zu mobilisieren. Im Gegenteil: Die absolute Mehrheit der Bevölkerung der Russischen Föderation, der Ukraine und der anderen an dem Referendum beteiligten Republiken sprach sich für den Erhalt und eine Erneuerung der Union aus. Die Ergebnisse des Referendums waren nicht nur ein großer moralischer und politischer Erfolg des sowjetischen Präsidenten, sondern auch Ausdruck des Volkswillens, die Integrität der Union in erneuerter Form zu erhalten.
Diesen Erfolg, den ich trotz der wachsenden Wirtschaftskrise und des drohenden Zerfalls des Landes errungen hatte, nutzte ich aus und schlug den Führern der Republiken Russland, Ukraine, Weißrussland, Usbekistan, Kasachstan, Aserbaidschan, Kirgisien, Turkmenien und Tadschikistan ein vertrauliches Treffen vor, um ein gemeinsames Programm konkreter konstruktiver Schritte zu erarbeiten.
Das auf meine Initiative zustande gekommene Treffen wurde bekannt als »Nowoogarjowsker Treffen 9 + 1 «. Auch Jelzin nahm teil, weil er sich davon zu diesem Zeitpunkt gute Voraussetzungen für seine Kandidatur bei den bevorstehenden Präsidentenwahlen in Russland versprach. In Nowo-Ogarjowo verabschiedeten wir die »Gemeinsame Erklärung dringender Maßnahmen zur Stabilisierung der Lage im Land und zur Überwindung der Krise«. Mit diesem Dokument einigten wir uns auf den schnellstmöglichen Abschluss eines Unionsvertrages als wichtigstes Stabilisierungsinstrument.
Das Treffen von Nowo-Ogarjowo hatte überdies maßgeblich Anteil daran, dass der Angriff auf den Generalsekretär scheiterte, den Parteifunktionäre damals vorbereiteten. Auch wenn sie formell die Beschlüsse des 28 . Parteitags gebilligt hatten, hielten sie doch an ihrer Absicht fest, Gorbatschow und den ganzen Perestrojka-Flügel in der Parteiführung auszuschalten. Die entscheidende Auseinandersetzung spielte sich im April auf der Plenartagung des ZK ab.
Unter dem Deckmantel der Vorbereitung auf den 50 . Jahrestag des Kriegsbeginns vereinbarten in Smolensk die Ersten und Zweiten Sekretäre der Stadtkomitees von Moskau, Leningrad, Kiew, Minsk, Brest, Kertsch, Murmansk, Nowosibirsk, Odessa, Sewastopol und Tula die Entfernung Gorbatschows vom Posten des Generalsekretärs. Mit diesen Zielen griffen sie von neuem die Idee auf, einen außerordentlichen Parteitag einzuberufen, eine Idee der Führung der russischen kommunistischen Partei. Die Plenartagung des ZK sollte, genau wie der 28 . Parteitag und die Versammlung der russischen Partei, zu einem Tribunal über die Perestrojka und Gorbatschow umfunktioniert werden. Mit einem drohenden, geradezu frechen Tonfall traten die Ersten Sekretäre der ukrainischen und weißrussischen Zentralkomitees und der Moskauer und Leningrader Stadtkomitees sowie eine ganze Reihe anderer Parteifunktionäre auf. Sie forderten die Ausrufung des Notstands.
Daraufhin erklärte ich meinen Rücktritt vom Posten des Generalsekretärs und verließ den Saal. Mit dieser Wendung hatte niemand gerechnet. Über 70 ZK -Mitglieder verfassten spontan eine Erklärung zur Unterstützung des Generalsekretärs und forderten nun ihrerseits die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags. Nach dreistündigen Beratungen wandte sich das Politbüro mit der Bitte an mich, der Streichung meines Rücktrittsangebots aus den Debatten zuzustimmen. Nasarbajew und andere ZK -Mitglieder mit einem klaren Kopf erteilten dem Angriff auf den Generalsekretär eine scharfe Abfuhr.
In meinem Schlusswort sagte ich, dass ein Streit in der Partei einem Tanz auf dem Vulkan gleichkäme. Ein prinzipieller Dialog über Fragen zur Theorie und Politik der Partei stehe jedoch im Zuge der Diskussion um ein neues Parteiprogramm für den 29 . Parteitag bevor. Am Ende verabschiedete das Zentralkomittee eine einigermaßen ausgewogene Resolution.
Das Abkommen von Nowo-Ogarjowo half der Regierung von Pawlow, zusammen mit der Führung der Republiken ein abgestimmtes Antikrisen-Programm auszuarbeiten, an dessen Umsetzung
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