Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
des Ministerkabinetts unter der Leitung von Valentin Pawlow [42] wurde durch lokalpatriotische Tendenzen in den Unionsrepubliken und vor allem durch die russischen Behörden behindert. Es kam auch zu Fehlern der neuen Unionsregierung. Einige durch eine Reform der Einzelhandelspreise zustande gekommene positive Ergebnisse der Unionsbetriebe wurden durch den Verlust der Finanzhebel der Union, die an die Republiken übergegangen waren, zunichtegemacht. Die unverhältnismäßige Erhöhung der Gehälter durch die Republiken verstärkte die Inflation. Trotzdem waren die Geldreformen der Union keine »Schocktherapie«, sondern ließen der Mehrheit der Bevölkerung ein Minimum an sozialen Garantien. Doch die Radikalen von »rechts« und »links« setzten ihren Machtkampf fort.
Ein schwerer Schlag waren die Ereignisse in Vilnius in der Nacht vom 12 . auf den 13 . Januar. Die Situation in der litauischen Hauptstadt hatte sich zugespitzt. Um einen Ausweg aus der Krise zu finden, wurden die Vorsitzenden des Obersten Sowjets Weißrusslands und Armeniens sowie ein Berater des Präsidenten der UDSSR nach Vilnius geschickt. Doch am Vorabend ihrer Ankunft wurde, wohl auf Befehl des Chefs der Garnison, das Fernsehzentrum, das von einer Vielzahl von Anhängern der Unabhängigkeit Litauens umstellt war, durch Truppen gestürmt. Vierzehn Menschen starben, es gab viele Verwundete. Das tragische Blutvergießen, schon an sich traurig genug, wurde zu politischen Zwecken ausgeschlachtet. Ich verhinderte eine Eskalation, indem ich auf die Einführung einer Präsidialverwaltung in Litauen verzichtete. Außerdem betonte ich die Illegitimität der Machtergreifung auf nicht verfassungsgemäßem Weg und durch Anwendung von Gewalt.
Währenddessen war Jelzin nach Talinn geflogen, um sich mit den Führern des Baltikums zu treffen, die den Vorfall in Vilnius in einem Schreiben an die UNO als »Aggression der Sowjetunion gegen Litauen« eingestuft hatten. Er wandte sich an die stationierten Soldaten mit der Aufforderung, Zurückhaltung zu üben und Ruhe zu bewahren, und erklärte provokativ: »Ohne eine
russische Armee
werden wir wohl die Souveränität nicht verteidigen können.« Diese weitgehende Erklärung, die eine Spaltung der Streitkräfte androhte, wurde von mir im Obersten Sowjet der Union scharf verurteilt.
In Moskau und einigen anderen Städten fanden Demonstrationen mit Zigtausend Menschen statt. Sie forderten den Rücktritt des Unionspräsidenten, der für die Tragödie in Vilnius verantwortlich gemacht wurde. Anführer dieser Demonstrationen waren die Führer des »Demokratischen Russland«. Im Februar 1991 trat Jelzin im Fernsehen mit einer direkten Kriegserklärung an mich auf: »Ich distanziere mich von der Position und Politik des Präsidenten und fordere seinen sofortigen Rücktritt.«
Sinn und Zweck der Aktion lagen auf der Hand: der Zentralregierung und Perestrojka ihren führenden Kopf rauben und so viele wie möglich, die Unionsrepubliken und an erster Stelle Russland, gegen den Präsidenten aufhetzen. In dieser Atmosphäre könnte eine Destabilisierung eintreten, die den Radikalen jeglicher Couleur sehr zupasskäme. Jede Maßnahme der Unionsregierung mit dem Ziel, die Ruhe und Ordnung zu wahren, würde man als Anschlag auf die Demokratie und Souveränität anprangern, als drohende Gefahr einer Diktatur. Ich weiß noch, dass sich Nasarbajew damals überaus abschätzig über die Angriffe Jelzins ausließ: »Die Krise ist ohnehin schon schwer genug, und er spitzt sie noch zu.« Diese Angriffe wurden von den weitsichtigsten Mitgliedern von »Demokratisches Russland«, denen es gelang, bei der ganzen Versammlungseuphorie einen kühlen Kopf zu bewahren, nicht geteilt, sondern verurteilt. [43]
Je näher der 17 . März, der Tag des Unionsreferendums, rückte, desto mehr verschärften sich die Auftritte gegen die Union und mich vonseiten der Opposition Jelzins. Anfang März begannen wieder vom »Demokratischen Russland« unterstützte politische Streiks in den Bergwerken mehrerer Regionen mit der Forderung nach dem Rücktritt der Unionsregierung. Wieder wurde der Wirtschaft des ganzen Landes enormer Schaden zugefügt, besonders betroffen waren Metallurgie und Landwirtschaft. In den ersten Monaten des Jahres 1991 standen fünf Koksbatterien und zwanzig Hochöfen still.
Auf dem Manege-Platz in Moskau fanden Massendemonstrationen gegen mich statt. Ähnliches geschah in anderen Städten Russlands, wo die Bürger aufgerufen wurden, bei
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