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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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zum großen Teil bewusst von den lokalen führenden Clans und mafiösen Kreisen provoziert wurden. So etwa in Karabach und Sumgait. Und auch in Baku, wo per Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der Notstand ausgerufen werden musste, weil sich die Regierung der Republik als handlungsunfähig erwiesen hatte.
    Das Scheitern und die Misserfolge bei der Lösung nationaler und internationaler Probleme hatten noch andere Gründe. Im Baltikum waren die kommunistischen Parteien der Republiken außerstande, konstruktive Beziehungen zu den gemäßigten Kräften in den Volksfronten zu knüpfen und auszubauen. Sie kapitulierten einfach und überließen den Separatisten das Feld. Das Gleiche galt im April 1989 für Tiflis: Damals hatte die örtliche Parteiführung es vorgezogen, anstelle eines Dialogs und praktischer Arbeit mit den Menschen eine Massenkundgebung durch den Einsatz von Panzern aufzulösen, der hinter dem Rücken der obersten Führung des Landes heimlich von örtlichen Organen und einigen »entsprechenden Instanzen in Moskau« genehmigt worden war. Eine derartige »Politik« hatte zur Folge, dass es in der Region Transkaukasus nach den Worten Eduard Schewardnadses zunehmend schwerfiel, einen Sekretär des ZK von einem überzeugten Nationalisten zu unterscheiden.
    Russlands Unabhängigkeitserklärung löste eine Kettenreaktion aus. Die Obersten Sowjets von Usbekistan, Moldawien, der Ukraine, Weißrussland, Turkmenien, Armenien, Tadschikistan, Kasachstan und Kirgisien erklärten gleichfalls die Unabhängigkeit ihrer Republiken. Derweil versprach Jelzin lauthals der Bevölkerung Russlands eine Erhöhung des Lebensstandards. »Das russische Wirtschaftsprogramm umfasst 500  Tage und verspricht im Unterschied zum Unionsprogramm nicht eine Erhöhung der Preise, sondern des Lebensstandards. Wenn wir unser Programm nicht innerhalb von zwei, drei Jahren verwirklichen, dann wird das Volk einfach zu den Mistgabeln greifen und den Unfähigen den Garaus machen.« Mit diesen populistischen Erklärungen fuhr Jelzin im Sommer 1990 durchs Land. Als ich 1996 an den russischen Präsidentschaftswahlen teilnahm, fragten mich die Menschen: »Warum hat Jelzin sein Versprechen nicht wahr gemacht, sich unter die Eisenbahn zu legen, sollte er seine Verpflichtungen gegenüber dem russischen Volk nicht einhalten?« Meine Antwort war kurz: »Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass die Eisenbahnen nur mit großen Unterbrechungen fahren.« Die Menschen durchschauten längst alles.
     
    Anfang Herbst 1990 wandte sich Jelzin, nachdem er überall mit dem Versprechen eines russischen Wirtschaftswunders gegen das »Unionszentrum« Stimmung gemacht hatte, auf einmal mit dem Angebot an mich, die Leitung der Russischen Föderation und der Union sollten bei der Durchführung der radikalen Marktreform zusammenarbeiten. Allerdings ohne die Regierung Ryschkow. In Wirklichkeit konnte das 500 -Tage-Programm, das er als Weg zu einem russischen Wirtschaftswunder anpries, gar nicht ohne Beteiligung der Macht- und Verwaltungsstrukturen der Union umgesetzt werden. Es war nämlich von den Verfassern ursprünglich als Programm für die Union konzipiert worden. Die konstruktiven Vorschläge und die Dynamik des Programms imponierten mir. Aber ich war gegen die in ihm angelegte Konfrontation mit der Unionsregierung. Unter der Führung des Wirtschaftsexperten Leonid Abalkin arbeitete sie an einem eigenen Programm, und ich fand, man könne doch auf der Grundlage beider Programme zu einem Kompromiss kommen. Nach einem fünfstündigen Gespräch antwortete Jelzin: »Lassen Sie uns zusammen entschieden und endgültig eine gemeinsame Politik machen. Wir können keine Konfrontation brauchen.« Na prima, kann man dazu nur sagen.
    Mitte Oktober hatten wir zusammen mit den bekannten Wirtschaftswissenschaftlern Schatalin, dem noch ganz jungen Jawlinskij und anderen eine Kompromisslösung erarbeitet: »Grundlagen für den Übergang zum Markt«. Nach Einschätzung von Experten beruhte dieser Kompromiss auf einem »absolut professionellen, wirtschaftlichen Ansatz«. Doch völlig unerwartet reagierte Jelzin auf dieses Papier äußerst negativ. Auf der Sitzung des Obersten Sowjets Russlands am 16 . Oktober erklärte er, es handele sich um einen neuen Angriff auf die russische Souveränität, und forderte ultimativ, entweder seine Bedingungen anzunehmen, die den Rücktritt der Ryschkow-Regierung beinhalteten, oder die Macht, die staatlichen Schlüsselposten, das Eigentum

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