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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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nicht unter 260  Millionen Tonnen gelegen, das heißt mindestens 50  Millionen Tonnen höher als in den bisherigen ertragreichen Jahren. Wir hätten also kein Getreide im Ausland kaufen müssen.
    Dazu musste man Schritt für Schritt einen ganzen Komplex von Problemen lösen, um die Betriebe mit den nötigen landwirtschaftlichen Maschinen, Düngemitteln, Herbiziden, selektiertem Saatgut, Rassevieh zu versorgen und natürlich auch die nötigen sozialen und kulturellen Bedingungen für die Dorfbewohner zu schaffen. Dann könnte man mit einem schnellen großen Erfolg rechnen.
    Und noch etwas. Die Versuchsbetriebe hatten weitreichende Selbständigkeit in der Produktion und dem Verkauf ihrer Produktion. Die grundlegende Masse der Betriebe des Landes aber litt vor allem unter dem Fehlen ökonomischer Bedingungen, die eine effektivere Arbeitsweise stimulieren, das heißt die Arbeit gewinnbringend machen konnten. Eine neue Agrarpolitik musste her.
    Es war erforderlich, die abwertende Sicht der Landwirtschaft zu durchbrechen. Die verbreitetste Lüge bestand in der Behauptung, die Landwirtschaft sei ein hoffnungsloser, verlustbringender Wirtschaftszweig, der unermessliche Ressourcen verschlinge und kaum etwas einbringe.
    Vor kurzem hielt ich die Materialien einer Einschätzung der möglichen Lebensmittelproduktion des heutigen Russlands in Händen. Die Wissenschaft ist zu dem Ergebnis gekommen, dass bei Anwendung der Selektion, neuer Technologien und chemischen Düngers beim Pflanzenanbau und in der Viehzucht ein Ertrag erzielt werden könnte, der reichte, um 800  Millionen bis zu einer Milliarde Menschen zu versorgen.
    Ich bestand auf der Bildung einer Gruppe unter der Führung der Staatlichen Planungskommission und unter Mitwirkung von Agrarwissenschaftlern und Parteifunktionären. Sie sollte die Grundsatzfrage klären: Welchen Anteil hat die Landwirtschaft am Nationaleinkommen? Darüber gab es heftigen Streit. Doch diese Kommission kam schließlich zu dem Ergebnis, dass die Landwirtschaft einen beträchtlichen Teil des Nationaleinkommens erbringt: ca. 28  Prozent. Mehr als zwei Drittel des Warenumsatzes im staatlichen und genossenschaftlichen Handel stellten Produkte der Landwirtschaft und Waren, die aus landwirtschaftlichen Rohstoffen hergestellt wurden, dar. Alle diese Angaben wurden in der Zeitschrift
Kommunist
( 1980 , Nr.  11 ) veröffentlicht.
    Nach der Veröffentlichung dieser Angaben verglich keiner meiner Opponenten mehr die Landwirtschaft mit einem »Fass ohne Boden«. Erst nach diesem Schritt gab es die Möglichkeit, erneut die Frage gerechter Einkaufspreise für landwirtschaftliche Produkte zu stellen. Bajbakow, der Vorsitzende der Staatlichen Planungskommission der UDSSR , schaltete sich in die Diskussion ein. Er gehörte zu den Technokraten auf hohem Niveau, hatte aber ein gutes Gespür für die menschliche Seite einer jeden Frage. Das machte es möglich, ganz offen mit ihm zu reden. Übrigens war er der Erste, der mir zu verstehen gab, dass etliche Probleme unseres Landes, darunter auch die Finanzierung der Landwirtschaft, gelöst werden könnten, wenn es nicht die Sperrgebiete gäbe, zu denen der Zutritt verboten war, sprich: die Ausgaben für die Verteidigung. Die Erhöhungen der Militärausgaben standen in keinem Verhältnis zum Wachstum des Nationaleinkommens. Doch niemand hatte je auch nur versucht, dieses Thema anzuschneiden.
    »Würdest du dich trauen, diese Frage zu stellen?«, fragte mich Bajbakow einmal ganz direkt, als wir nach einer Sitzung unter vier Augen waren. Es lag auf der Hand, dass er von seinem geheimsten Traum sprach.
    »Nein, würde ich nicht«, antwortete ich.
    »Siehst du, ich auch nicht«, merkte er bedauernd an.
    Das war das Sperrgebiet des Generalsekretärs.
    Der 26 . Parteitag 1981 beschloss die Notwendigkeit eines Lebensmittelprogramms. Das hatte prinzipielle Bedeutung, vor allem politische, denn die Lebensmittelfrage hatte sich im Innern des Landes gefährlich zugespitzt. Den Hunger hatte man in der Sowjetunion längst vergessen. Aber unsere internen Lebensmittelprobleme wurden in beträchtlichem Maß durch Auslandskäufe von Fleisch und vielen anderen Lebensmitteln, besonders Getreide, gelöst. Das gab Anlass zu großer Besorgnis, denn es hing direkt mit der Sicherheit unseres Landes zusammen.
    Nach dem Beschluss des Parteitags zum Lebensmittelprogramm musste unverzüglich der Kampf aufgenommen werden, um diese extrem wichtige Aufgabe zu lösen. Ich traf mich viel mit

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