Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
geschätzt.
Suslows Tod weckte auch bei anderen Politbüro-Mitgliedern Erwartungen und Hoffnungen. Erregt, verwundert und ratlos erzählte mir Andropow am Telefon von einem Gespräch mit Gromyko. Sein Anruf kam für Andropow überraschend. Gromyko und er waren alte Freunde. Gromyko sondierte offen das Terrain für seinen Wechsel auf Suslows Posten. Als erfahrener Mann in vielen Lebensbereichen, natürlich vor allem in der Außenpolitik, hatte er eigentlich durchaus alle Voraussetzungen dafür.
Andropows Antwort war ausweichend: »Andrej, das ist Sache des Generalsekretärs.«
Mir scheint, die größten Aussichten auf diesen Posten hatte Andropow selbst. Ich sagte ihm einmal gesprächsweise, er arbeite schon zu lange bei der Staatssicherheit, es sei Zeit, in das Haus zurückzukehren, aus dem er weggegangen sei.
Andropow hatte mir erzählt, kurz nach Suslows Tod habe der Generalsekretär ihn auf seinen Wechsel ins Amt des ZK -Sekretärs angesprochen, der das Sekretariat leiten und die internationale Abteilung betreuen sollte. Er habe aber hinzugefügt: »Wie die endgültige Entscheidung des Generalsekretärs aussehen wird, weiß ich nicht.«
Natürlich gab es auch einen dritten Mann, der Pläne in dieser Richtung hatte: Ich meine Ustinow. Ich glaube, Ustinow rechnete mit der Möglichkeit einer Beförderung auf diesen Posten – obwohl er wahrscheinlich mehr auf das Amt des Generalsekretärs spekulierte und für diesen Fall Andropow favorisierte.
Aussichten rechnete sich auch Tschernenko aus. Aber ich glaube, schon Mitte März war Breschnew zu einer endgültigen Entscheidung gekommen. Ich stütze mich darauf, dass er schon damals Andropow den Auftrag gab, auf der feierlichen Sitzung aus Anlass des 112 . Geburtstags von Lenin einen Vortrag zu halten. Nach den Kriterien der »Krem-Leninologie« bedeutete das: Breschnew hatte entschieden!
Andropows Vortrag war gut. Erstmals in vielen Jahren gab die traditionelle Rede einen Anstoß zu ernst zu nehmenden Überlegungen über die reale Situation. Bei dieser Gelegenheit sagte Andropow die berühmten Worte: »Wir kennen die Gesellschaft, in der wir leben, schlecht.«
Es ist durchaus möglich, dass bei der Wahl Andropows noch ein Moment eine Rolle spielte, das niemand erwähnt. Als Breschnew Andropow für die Parteiarbeit holte, konnte er Fedortschuk, einen Mann, der ihm völlig ergeben war, zum Verantwortlichen für die Staatssicherheit machen. Andropow hielt nicht viel von Fedortschuk und wollte Tschebrikow auf diesem Posten sehen. Aber als Breschnew ihn direkt fragte, wen er als Nachfolger haben wolle, sagte Andropow wieder: »Das ist Sache des Generalsekretärs.« Als Breschnew dann nach Fedortschuk fragte, stellte sich Andropow nicht dagegen und unterstützte dessen Kandidatur.
»Brot und Verteidigung!«
Die Kardinalfrage betraf die Finanzierung und die Ressourcen für das Lebensmittelprogramm. Das bereitete mir Kopfschmerzen. Ich versuchte, den minimalen Umfang der Mittel festzulegen, denn ohne diese Angaben konnte ich nicht auf der Plenartagung des ZK erscheinen. Das Finanzministerium und die Staatliche Planungskommission wichen dem Gespräch über dieses Thema aus. Schlimmer noch: Bajbakow und Garbusow hatten ein Treffen mit Tichonow, [23] bei dem dieser in recht barschem Ton gesagt hatte: »Gorbatschow dürfen keine Versprechungen zu Finanzierung und Ressourcen gemacht werden.«
Trotzdem kamen wir uns mit Garbusow und Bajbakow in der Sache immer näher. Ich verstand aber auch, dass ich einen Gegenvorschlag machen musste, wenn ich nicht wollte, dass alles in der Luft hing. Ich schlug meinen Partnern Folgendes vor: Man könnte einen Teil der Investitionen, die für die Landwirtschaft bestimmt waren, für die Entwicklung des Landmaschinenbaus verwenden. Die Hauptfrage aber – die Erhöhung der Einkaufspreise für Landwirtschaftsprodukte – ließ sich partout nicht lösen.
Einmal gab es eine Unterhaltung, die mich dazu veranlasste, um ein dringendes Gespräch mit Breschnew zu ersuchen. Das war so: Ich hatte eine Besprechung zu den ungelösten Fragen der Finanzierung angesetzt. Aber Garbusow, der Finanzminister, war nicht erschienen. Ich rief ihn an: »Wasilij Fjodorowitsch, wir haben uns schon alle versammelt, wir sitzen und warten auf Sie.«
»Michail Sergejewitsch«, flehte der Minister, »ich kann nicht zu Ihnen kommen.«
»Warum?«
»Das ist mein Tod«, hieß es mit einem tiefen Seufzer und in vollem Ernst.
»Warten Sie«, sagte ich verwundert.
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