Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
als Mitglied ins Politbüro zu schicken. Ich habe mich dagegen ausgesprochen und möchte, dass du das weißt. Wir werden dich als Kandidat des Politbüros vorschlagen. Das ist besser. Du hast Sekretäre um dich herum, die bereits fünf, zehn, fünfzehn Jahre an diesem Platz arbeiten. Warum überflüssige Spannungen schaffen?«
Er hatte recht.
9 . Kapitel
Der Agrarsektor – ein Fass ohne Boden?
Nach Beendigung meiner Pflichten im Agrarsektor fuhr ich im Dezember 1979 nach Pizunda zu einem kurzen Winterurlaub. Er fiel immer in eine Zeit, da die Mitglieder der Führung schon von ihrem Urlaub am Meer im Sommer und Herbst wieder nach Moskau zurückgekehrt waren. Ich traf dort Eduard Schewardnadse, den Ersten Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei Georgiens. Nach einem Abendessen gingen wir lange an der Küste entlang und sprachen über unser Leben und die gegenwärtige Situation, über unsere Partei- und Staatsangelegenheiten. Wir kannten uns schon lange, noch aus dem Komsomol, waren aber keine engen Freunde gewesen. An jenem Abend jedoch stellten sich ein neues Verständnis und eine freundschaftliche Sympathie zwischen uns ein. In einem bestimmten Augenblick sagte Schewardnadse offen und besorgt: »Alles ist von oben bis unten verfault.«
»Da stimme ich dir zu«, antwortete ich. Das war ein Moment der Ehrlichkeit in unserem Verhältnis.
Am frühen Morgen des nächsten Tages erfuhren wir, dass unsere Truppen in Afghanistan einmarschiert waren. Eine merkwürdige Situation: Schewardnadse war schon seit Jahren Kandidat des Politbüros, ich war es gerade erst geworden; doch weder mit ihm noch mit mir war der Beschluss über den Einmarsch in Afghanistan abgesprochen worden, ja man hatte uns noch nicht einmal darüber informiert. Wir erfuhren von dieser großen, für unser Land und die internationalen Beziehungen höchst folgenreichen Aktion aus den Meldungen der Massenmedien.
Schewardnadse flog sofort nach Tbilissi, während ich – ja, ich verberge es nicht – mir den ganzen Tag Gedanken darüber machte, wie man mit uns umgesprungen war. Raissa verstand die Situation, schwieg und versuchte, weder mich zu beruhigen noch Fragen zu stellen …
Die Welt war in Aufruhr. Die USA und andere Länder ergriffen eine Reihe von Maßnahmen gegen die UDSSR . Die Amerikaner stellten sogar die Getreidelieferungen ein, die sie vertraglich zugesichert hatten. Durch dieses Embargo entgingen uns 17 Millionen Tonnen Getreide. Ich musste mich beeilen und nach Moskau zurückkehren.
Breschnew lud Gromyko, Ustinow und mich zu sich ein. Ich war zum ersten Mal in diesem exklusiven Kreis. Zuerst legten Gromyko und Ustinow ausführlich ihre sehr optimistische Einschätzung der Lage in Afghanistan dar. Ich dagegen musste von der äußerst besorgniserregenden Lebensmittelsituation berichten. Alle waren beunruhigt. Ich wurde beauftragt, konkrete Vorschläge auszuarbeiten, wie hoch das Minimum für die Lebenssicherung sei und welche Direktiven dazu vom Außenministerium und dem Außenhandel erlassen werden müssten. Zum ersten Mal befasste ich mich mit der Ausarbeitung eines Programms, das uns von den Getreideimporten unabhängig machen sollte. Ich nannte es noch nicht »Lebensmittelprogramm«, aber genau darum ging es.
Nach diesem Gespräch wurde der Text einer Rede des Generalsekretärs im Politbüro vorbereitet. Die Vorschläge wurden gebilligt, und es wurde der Beschluss gefasst, die Staatliche Planungskommission, die Ministerien und wissenschaftliche Institutionen zur Ausarbeitung des Programms hinzuzuziehen.
Mit diesem Augenblick begann die intensive, vielseitige Arbeit, um ein Lebensmittelprogramm zu erstellen. Das war nicht einfach. Zuerst mussten die Ziele festgesetzt, dann Wege und Möglichkeiten zur Umsetzung des Programms gefunden werden. Trotz der harten Diskussionen und Zweifel, die von verschiedenen Seiten zu hören waren, hatten wir mit der Zeit immer mehr Argumente, die die Notwendigkeit des Programms untermauerten.
Die Analyse von fünfhundert Versuchsbetrieben, die über das ganze Land verstreut waren, aber sowohl die Geographie als auch die natürlichen und klimatischen Zonen des ganzen Landes gleichsam im Kleinen abbildeten, führte zu interessanten Ergebnissen. Sie zeigte, welche Möglichkeiten wir hatten, vorausgesetzt, die Kolchosen und Sowchosen würden das Produktionsniveau dieser Versuchsbetriebe erreichen. Dann hätten wir nicht gewusst, wohin mit all den Produkten! Der Ertrag an Getreide hätte dann
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