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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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und war sofort losgelaufen. Zuallererst hatte sie mit einem Tuch das Kinn hochgebunden. Seit meiner Kindheit wusste ich, wie es sich mit der Leichenstarre verhielt. Sie begann am Kopf in den kleinsten Muskeln der Augenlider, betonierte das Kinn und kroch über Hals und die Schultern in den Körper.
    »Lisa, bitte, geh da weg!«
    Cipión machte vom Boden eine lange Nase das Bett hinauf. Seine Schlappohren zitterten. Die Rute hielt er gesenkt. Ich zog ihn weg und trat zurück. Keine Sekunde zu früh, denn die Tür ging auf und Lotte Weber erschien mit einem dreiarmigen Leuchter, aus dem, während sie die Tür schloss, die Kerzen purzelten. Ich bückte mich, hob sie auf, während sie den Leuchter auf den Nachttisch stellte, und reichte ihr die Kerzen.
    »Danke, Herr Nerz.« Sie pflanzte die Kerzen wieder in die Leuchternäpfe. »Das sind die letzten, die ich noch in der Speis gefunden habe. Der Vati hatte ja nichts übrig für Kerzenlicht, nicht mal einen Adventskranz hat er geduldet, wegen der Brandgefahr. Immer diese Vorsicht und kein bisschen Gottvertrauen!«
    Lotte fischte ein Streichholz aus der Schachtel und riss es an. Aber das Köpfchen zerbröselte. Im Augenwinkel sah ich Richard ins Jackett nach dem Feuerzeug greifen. Aber ich war schneller.
    »Vielen Dank, Herr Nerz. Wenn Sie das übernehmen würden. Ich kann mit diesen neumodischen Plastikfeuerzeugen nicht umgehen. Ich verbrenne mir immer die Finger.«
    Richards wäre ein Zippo gewesen, ein Geschenk von mir.
    Lotte drehte sich um. »Wir dürfen morgen die Streichhölzer nicht vergessen, Richard. Eigentlich sind wir ja immer Freitagvormittag nach Balingen einkaufen gefahren, der Vati und ich, denn samstags ist Markt, und da bekommt man keine Parkplätze. Aber heute Abend hätte ich eh nichts kochen müssen. Wir hätten nach der Buchvorstellung im Zollernschlössle was bekommen, wo der Vati das Grußwort hätte sprechen sollen. Und da er heute früh noch was zu schreiben hatte, haben wir gesagt, wir fahren erst morgen einkaufen.«
    Hatte nicht Staatsanwalt Kromppein, der jetzt in der Wielandshöhe saß und Archerind aß, sich glücklich geschätzt, genau dieser Buchvorstellung entkommen zu sein? Ein Gerichtsmediziner hatte ein Buch über die Balinger Waagenindustrie geschrieben. Eine tödliche Mischung! Oder hatte Kromppein sich auf angetrocknete Gattinnen und aufgedonnerte Lachsschnittchen bezogen?
    Ich vergewisserte mich, dass die Kerzen festsaßen, und ließ die Flamme springen. Aus den Dochten wuchsen Flammen.
    »Hätte er nur was gesagt«, sagte Lotte vorwurfsvoll. »Wie hätte ich denn wissen sollen, dass er sich nicht wohlfühlte? Und ich bin wie jeden Freitag die Heidegisela im Heim besuchen gegangen. Sie sitzt im Rollstuhl seit ihrem Schlägele. Und die Tochter kommt auch nicht mehr, seit sie diesem Heiratsschwindler aufgesessen ist. Dann habe ich noch den Garten gegossen. Es vertrocknet ja alles. Um halb sieben bin ich in sein Arbeitszimmer gegangen, damit er sich fertig macht. Aber da war er nicht. Also bin ich hinauf. Und da lag er noch im Bett. Und wie ich ihn anpacke, merke ich, dass er tot ist.«
    Richard schloss kurz die Augen.
    »Da hat auch schon die Barbara angerufen. Ob der Arzt schon da gewesen sei. Wozu soll ich denn den Arzt anrufen, habe ich gesagt. Er ist doch schon tot.«
    Ein Luftzug brachte die Flammen zum Wanken. Martinus lächelte. Sein Mundwinkel flackerte, der Nasenflügel bebte. Die arrogante Sparsamkeit dieses Lächelns kannte ich von Richard. Ähnlich auf einmal auch der kantige Dickschädel, das kampfbereite Kinn, die Sturheit auf der breiten Stirn.
    Richard ließ sich auf den Stuhl sinken, der vor dem Schminktisch mit dem offenen Flügelspiegel stand. Lotte legte die Hand auf seine Schulter. Aber sie irrte sich, wenn sie glaubte, die Fassungslosigkeit habe ihren Sohn gefällt. Richard bekam immer weiche Knie, wenn er Leichen sah. Deshalb war er auch nicht Staatsanwalt für Tötungsdelikte geworden, sondern für Wirtschaftsstrafsachen.
    Ich drückte ihm Cipións Leine in die Hand. Er griff dankbar nach dem zappeligen Tier und schob es zwischen seine Füße. »Sitz, Cipión!«
    »Na, der gehorcht ja sogar«, bemerkte Lotte.
    Ich ging ums Bett herum. Auf der rechten Seite sah der Entseelte anders aus. Der Mundwinkel verlief sich in den zum Ohr gesackten Falten eines Gesichts, das sich in Herrschsucht erschöpft hatte. Aus dem Augenwinkel krallten sich jene Falten in die Schläfe empor, die nicht beim Lachen entstanden, sondern

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