Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
und das Goldkettchen.
»Hey.« Er kniff die Augen zusammen. Das grelle Sonnenlicht schmerzte.
»Bist du okay?« Ihr Lächeln verschwand. Sie klang besorgt.
»Hmm, nein. Grippe wahrscheinlich.«
»Shit. Brauchst du was?«
»Nein, danke.« Es fiel ihm schwer, sich zu unterhalten. Er musste sich hinlegen. Nieste noch einmal.
»Komm.« Sanft drängte sie sich an ihm vorbei. »Leg dich wieder hin, ich mach Tee.«
Bald hörte er sie in der Küche Schränke öffnen. Er legte sich wieder auf die Couch. Sie kam mit einem feuchten Küchentuch. Legte es sanft auf seine Stirn.
»Dich hat’s ganz schön erwischt.« Zahnlückenlächeln.
Sie sah sich um.
Er bemerkte ihren kritischen Blick.
Das Wohnzimmer sah wüst aus. Getrocknetes Blut auf dem Teppich, der Vitrinenschrank ohne Glas, der zerstörte Kunstdruck, leere Flaschen, volle Aschenbecher.
»Das nächste Mal, wenn du eine Hausparty machst, sag Bescheid.« Sie lächelte. Dann deckte sie seine Füße zu. Bevor sie ging, stellte sie eine dampfende Tasse Tee vor ihm auf den Couchtisch. Mit geschlossenen Augen hörte er sie ein Fenster öffnen.
»Ich schau später noch mal nach dir, okay?« Sie flüsterte. Dann entfernten sich ihre Schritte, und er hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel.
Mit Kopfschmerzen erwachte er am späten Nachmittag. Seine Augen brannten. Die Gelenke schmerzten. Die Kleenex-Packung war leer. Er nieste in ein altes T -Shirt.
Fuck it.
Er holte ein Glas Wasser aus der Küche. Die Knie zittrig. Spürte die Fliesen unangenehm kalt an den nackten Füßen. In den letzten Jahren war er selten krank geworden. Nach der Knieoperation hatte er einige Tage zu Hause im Bett verbracht. Liz hatte ihm Lunch ans Bett gebracht und abends gekocht. Sie hatte die Kissen aufgeschüttelt, ihm Gesellschaft geleistet. Hatte auf der Bettkante gesessen und von ihrer Boutique erzählt. Er hatte sich nur gewünscht, sie würde ihn allein lassen.
Krank sein und Nichtstun waren nicht seine Stärke. Sobald er aufstehen konnte, war er immer ins Büro gefahren.
Am Abend wieder leises Klopfen. Zahnlücke. Sie hielt ihm einen Plastikcontainer hin. »Vorsicht, heiß!« Hühnersuppe.
Aida setzte sich in den Sessel vor ihn. Die Beine angezogen, betrachtete sie ihn, wie er die heiße Suppe schlürfte.
»Danke.« Er sah auf. Schwaches Lächeln.
Sie fuhr sich durchs Haar. Ließ den Blick wieder durch das Wohnzimmer wandern. »Klar. Gerne.« Ernst fuhr sie fort. »Ist scheiße, wenn man krank ist. Und allein.«
»Ja.«
»Deine Frau hat Geschmack …« Sie wies mit dem Kopf auf die dänische Essecke.
»Ja.«
»Wieso ist sie weg?« Aida legte den Kopf schräg. Sie schien unsicher, ob die Frage zu indiskret für ihn war.
Matt zuckte er mit den Achseln. Er hatte keine Ahnung. Weil er ein Arschloch war? Weil sie Peters Tod nicht verkraftet hatte? Weil ein anderer aufmerksamer als er war? Weil ihr Zuhause ihr zu einsam und langweilig geworden war?
»Sie hatte einen anderen«, sagte er schließlich.
Sie biss sich auf die Unterlippe. »Klassisch.«
Sie beugte sich vor. Sah ihn ruhig an. »Wenn die Kinder aus dem Haus sind, sind die Frauen allein. Ein bisschen Yoga und Kaffeekränzchen reichen irgendwann nicht mehr. Sie versuchen, mit dem Mann zu reden, die Ehe wieder in Schwung zu bringen. Die Frauen wollen reden und verstanden werden. Die Männer verstehen nicht, sind genervt. Es hat sich doch nichts geändert. Es ist anstrengend, langweilig. Beide wissen, dass es langweilig ist. Bis irgendwann entweder eine Jüngere kommt – oder ein Typ, der Lust hat zu reden.«
Sie verzog den Mund.
»So oder so ähnlich geht’s immer. Ich höre die Storys jeden Abend.«
Es klang so einfach.
Es nervte ihn, dass eine junge Stripperin es ihm erklären musste.
»Meine Oma hat meinen Opa mit zweiundsiebzig verlassen. Es ist nie zu spät, neu anzufangen«, sagte sie. Es war aufmunternd gemeint. Bevor sie ging, schrieb sie ihre Nummer auf eine der alten Zeitungen. »Ich hab noch eine Woche sturmfrei. Meld dich, wenn’s dir besser geht.«
Er nickte und hörte wieder die Haustür ins Schloss fallen.
11
Mit einem Handtuch um die Hüften trat er ins Wohnzimmer. Wasser tropfte auf den Teppich. Er strich das nasse Haar zurück. Fühlte sich besser.
Sein Blick ging durch den Raum, ein einziges Chaos. Achtlos in die Ecke geworfene Sofakissen. Teller mit verklebten Essensresten. Leere Tassen, Becher, Flaschen auf dem Boden. Zigarettenasche überall. Das Ganze übersät mit zerknüllten
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