Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Leichtigkeit. Der Druck im Magen löste sich auf, er fühlte Wärme um die Augen.
Er war high. Grinsend reichte er Aida den Joint zurück.
»Ich hab dir ein Buch mitgebracht. Haben wir beim Einzug im Schrank gefunden.« Sie zeigte auf den Nachttisch.
»Wann kommt dein Kanadier zurück?«
»In zwei Wochen oder so. Hat ’n Job gekriegt.«
»Gnadenlos«, Tom Clancy. Das Buch kam ihm bekannt vor. Thriller. Er meinte, das Buch vor vielen Jahren verschenkt zu haben. Er selbst hatte nie viel gelesen.
Wieso hatte Aida es mitgebracht? Er begann darin zu blättern, als Aida die Beine aus dem Bett schwang und sich ihre Sachen überzog. »Ich muss nach Hause, schlafen. Kümmer du dich um deinen Freund, wir sehen uns morgen!« Sie küsste ihn auf den Mund und schlich über den Flur zum Ausgang. Leise fiel die Haustür hinter ihr zu.
Tim blickte wieder ins Buch. Auf der ersten Seite seine eigene Handschrift. Erstaunt kniff er die Augen zusammen. »1993, Für meinen Freund Peter, herzlich, Tim.«
Er legte das Buch zur Seite. Eins von Peters Büchern in den Händen zu halten fühlte sich merkwürdig an. Vielleicht lag es daran, dass er high war. Als würde sein ehemaliger Freund aus dem Totenreich mit ihm kommunizieren.
Seltsam, dass das Buch jetzt zu ihm zurückkam. Er hatte es Peter 1993 geschenkt. Wahrscheinlich zum Geburtstag. Peter liebte Thriller und Kriminalromane. Oft hatte er Tim Bücher empfohlen. Aber er musste gemerkt haben, dass Tim kein guter Gesprächspartner war, was Bücher anging. Liz hingegen las viel. Die Bücher im Arbeitszimmer hatte sie alle gelesen. Peter hatte sich bald vor allem mit ihr ausgetauscht. Sie hatte sich stapelweise Bücher von ihm geliehen. Wann immer er vorbeikam, um Tim abzuholen, hatte er Liz einen neuen Roman mitgebracht. Tim erinnerte sich, dass sie eine schnelle Leserin war.
Das Lesen hatte er fast vergessen. Eine Gemeinsamkeit. Genug, um der Anfang einer Affäre zu sein. Er erinnerte sich, dass Liz »Gnadenlos« auch gelesen hatte. Peter hatte es ihr irgendwann später geliehen.
Ein absurder Gedanke beschlich ihn. Vielleicht war es die Paranoia, die letzte Phase des Highseins?
Noch einmal nahm er das Buch zur Hand und blätterte es Seite für Seite durch.
Hatten sie so heimlich untereinander kommuniziert?
Er fasste das Buch am Rücken und schüttelte es. Die Seiten raschelten. Schließlich fiel der kleine Zettel heraus. Er segelte zu Boden und blieb vor Tims Füßen liegen. Fuck! Sein Herz begann zu pochen. Er hielt die Luft an. Faltete das Papier mit zitternden Händen auseinander.
»Du fehlst mir. D. sieht mich an, als wisse sie Bescheid. Bin morgen von 12–2 im Park. Komm, wenn Du kannst. L.«
Er las die Zeilen noch einmal. Unverkennbar Liz’ Schrift. Er tat sich schwer zu begreifen. Wut stieg in ihm auf und machte es ihm schwer, in Ruhe nachzudenken.
Liz glaubte, Doreen hätte Wind von der Affäre bekommen. Sie wollte Peter im Park treffen. Wahrscheinlich meinte sie den Griffith Park. Er, Tim, kam gar nicht vor. Kein Wort über ihn. Er, der ahnungslose Idiot.
Es machte ihn wütend, dass Liz beunruhigt war, Doreen könne etwas wissen. Während es ihr egal zu sein schien, ob ihr Ehemann etwas ahnte.
Von wann mochte die Nachricht sein? Laut stieß er Luft aus. Verdammt, es war scheißegal. Die Tatsache, dass Peter die Nachricht im Buch aufgehoben hatte, dass er sich auf diese romantische Weise mit Liz ausgetauscht hatte, machte Tim für einen Moment rasend eifersüchtig. All die Jahre hatten sie dieses Geheimnis vor ihm bewahrt.
Peter und Liz hatten etwas gehabt, das sie miteinander teilten. Heimlich. Vertrauensvoll. Kein Zweifel.
Larrys Schnarchen klang leise aus dem Wohnzimmer herüber.
Es war kurz nach fünf Uhr morgens. Tim fühlte sich hellwach. Immer noch high. Rastlos. Er leerte in wenigen Zügen eine Flasche Bier. Fuck!
Zu gerne würde er jetzt zu Heffners hinüberlaufen, Sturm klingeln und Peter zur Rede stellen. Ihn anbrüllen. Den schmalen Körper schütteln, ihm die Faust ins Gesicht schlagen, bis er blutete.
Plötzlich hielt er inne. Mit einem Mal wusste er genau, was zu tun war.
Er rannte ins Arbeitszimmer. Blieb vor dem großen Bücherregal stehen und schaute auf die Hunderte von Buchrücken. Sechs Reihen. Schmale, dünne, dicke. Romane, Novellen, Gedichte, Reiseführer. Alle ungeordnet. Dreihundert oder vierhundert Bücher.
Gab es noch andere Nachrichten? Er ließ die Hand über die Buchrücken gleiten. Prüfte, ob eins der Bücher weiter
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